«Ein Leben ist im Alter nicht weniger wert» - demenzjournal.com
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Tötungsdelikte bei Älteren

«Ein Leben ist im Alter nicht weniger wert»

Beim Tod eines alten Menschen gibt es selten eine genauere Untersuchung. Schöpft niemand Verdacht, wird er als natürlich erklärt – auch wenn es sich vielleicht um ein Tötungsdelikt handelt. Marcus Cramer, Unsplash

Gewalt in Beziehungen hört nicht mit der Pensionierung auf. Auch Frauen über sechzig werden Opfer eines Feminizids. Die promovierte Psychologin und Dozentin Delphine Roulet Schwab forscht zu Themen rund um Gewalt im Alter.

Von der Unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter UBA

UBA: Der gefährlichste Ort für Frauen weltweit sei das eigene Zuhause. Auch im Alter?

Ja. In der Öffentlichkeit herrscht zwar die Meinung vor, Gewalt an älteren Menschen werde vor allem in Altersheimen und Pflegeeinrichtungen ausgeübt. Doch das stimmt nicht. Die weitaus meisten Übergriffe passieren im eigenen Zuhause, und sie geschehen von Menschen, die man kennt: von pflegenden Angehörigen, oft vom eigenen Ehemann. Auch Frauenmorde werden meist im häuslichen Umfeld begangen: Zahlen aus Frankreich belegen, dass rund zwanzig Prozent dieser getöteten Frauen über sechzig Jahre alt sind. Jede fünfte Frau, die von ihrem Partner umgebracht wird, gehört demnach zu dieser Altersgruppe.

Welches sind die größten Risikofaktoren?

Oft leben Paare schon seit Jahren in einer Beziehung, die von Gewalt und Übergriffen geprägt ist. Das wird sich im Alter nicht plötzlich ändern. Wenn eine Frau aus einer solchen Beziehung ausbrechen will – vielleicht weil sie sich die Pensionierung mit ihrem gewalttätigen Mann nicht vorstellen kann – geht sie ein Risiko ein:

Der Mann tötet, weil er es nicht ertragen kann, dass seine Frau ihn verlässt.

Und weil er die Kontrolle über sie behalten will. Der Feminizid ist für ihn die Möglichkeit, seine Macht zu erhalten.

Was sind die Warnzeichen?

Es sind die gleichen Anzeichen wie bei Kindern und jüngeren Menschen: Unerklärliche Verletzungen, Hämatome, immer wieder Spitalaufenthalte oder der Rückzug aus dem sozialen Leben.

Delphine roulet schwab

doktorierte als Psychologin an der Universität Lausanne. Sie ist Professorin an der Fachhochschule für Gesundheit La Source HES-SO in Lausanne. Ihr Forschungsthema ist Gewalt im Alter und deren Prävention. Sie ist Präsidentin von alter-ego.ch und GERONTOLOGIE.CH.

Meiner Meinung nach wären auch die erwachsenen Kinder eines solchen Paares in der Pflicht: Sie haben manchmal wenig Verständnis, wenn ihre Mutter aus diesem Gefüge ausbrechen will. Statt sie zu unterstützen, nehmen sie Partei für den Vater und versuchen so, das fragile Gleichgewicht in der Familie zu erhalten. In einer solchen Situation sind Informationen und Sensibilisierung gefragt.

Welche Rolle spielt die Gesellschaft?

Sie muss sich bewusst sein, dass Gewalt und Missbrauch auch ältere Menschen betreffen. Bei einem Feminizid denkt man in der Regel an jüngere Frauen. Doch es ist genauso schlimm, wenn eine ältere Frau zum Opfer wird.

In der öffentlichen Meinung jedoch wird der Tod einer 80- oder 90-Jährigen oft als gegeben hingenommen. Dabei ist ein Leben im Alter nicht weniger wert. Die Schwere eines Verbrechens bleibt sich gleich, ob es nun an einer älteren oder jüngeren Frau begangen wird. Zudem gibt es eine hohe Dunkelziffer, da die Fälle oft nicht als solche erkannt oder banalisiert werden.

Wie meinen Sie das?

Ein Treppensturz? Der Tod im Schlaf? Wer sagt, dass es tatsächlich so war? Oder ob nicht jemand nachgeholfen hat?

Beim Tod eines alten Menschen gibt es selten eine genauere Untersuchung oder gar eine Autopsie. Wenn niemand Verdacht schöpft, wird er als natürlich erklärt.

Auch wenn es sich vielleicht um ein Tötungsdelikt oder einen Feminizid handelt. Dass Frauenmorde bisher so wenig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen sind, hat auch mit den Medien zu tun: Diese reden oft von »Familientragödie« oder »Beziehungsdrama«, statt einen Feminizid klar zu benennen.

Im Alter gibt es gehäuft auch Tötung auf Verlangen oder einen erweiterten Suizid. Wie kommt es dazu?

In diesem Fall hat das Paar irgendwann einen Pakt geschlossen und beschlossen, dereinst in ferner Zukunft miteinander zu sterben. Also tötet der gesunde Partner seinen kranken Ehegatten und richtet anschließend sich selbst. Diese Dynamik ist eine andere als bei einem Feminizid: Der Täter tötet seine Partnerin – mit oder ohne deren Einverständnis – um einer scheinbar ausweglosen Situation ein Ende zu bereiten. In der Statistik erscheint ein solches Tötungsdelikt ebenfalls als Mord, unabhängig von Motiven und Beweggründen.

Auch ein Tötungsdelikt aus einer Überforderung heraus ist nicht selten.

Viele alte Paare haben sich versprochen, füreinander da zu sein, in guten und in schlechten Zeiten. Dieses Versprechen wollen sie unbedingt halten: Sie akzeptieren keine Hilfe. Sie wollen die Pflege ihres Lebensgefährten oder ihrer Lebensgefährtin nicht fremden Händen überlassen. Sie können nicht loslassen und vernachlässigen auch sich selbst.

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Hilfeleistungen

Menschen mit Demenz und Angehörige brauchen Unterstützung, Wissen und Vernetzung. Hier findest du die wichtigsten Anlaufstellen im deutschsprachigen Raum. weiterlesen

Kommt es in einer solchen Situation zu einem Tötungsdelikt, offenbart das meiner Meinung nach auch ein Versagen der Gesellschaft: Mögliche Hilfsangebote kommen nicht oder zu spät bei den Betroffenen an oder werden nicht verstanden. Ich glaube, dass sich diese Frage mit den Babyboomern, die jetzt alt werden, ein bisschen entspannen wird: Diese Generation hat eine andere Haltung gegenüber der Ehe.

Welches ist die beste Prävention?

Darüber reden, immer wieder. Miteinander, in der Familie, in der Öffentlichkeit. Sich bewusst sein, dass es keine Schande ist, um Hilfe zu bitten. Dass es Unterstützung gibt. Alles tun, damit es gar nicht zu einer scheinbar ausweglosen Situation kommt.

Wenn Menschen sterben wollen, finden sie einen Weg. Doch oft verursacht dieser Weg noch mehr Leid.

Wichtig ist deshalb die Enttabuisierung des assistierten Suizids: In der Schweiz gibt es die Möglichkeit, mit einer Organisation wie Exit zu sterben. Damit sollte man sich auseinandersetzen, bevor es soweit ist. Dann kann man einander auch begleiten

Denn selbst wer seine Partnerin oder – in sehr seltenen Fällen seinen Partner – tötet, um unerträgliches Leid zu beenden, muss nachher mit dieser Tat leben. Das stelle ich mir sehr schwierig vor – nicht nur für den betroffenen Täter, sondern für die ganze Familie.

Sterbehilfe bei Demenz

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Sterbehilfe

Als Sterbehilfe bezeichnet man das assistierte Töten oder Sterbenlassen von Menschen mit einem ausdrücklichen oder mutmasslichen Verlangen nach dem eigenen Tod. weiterlesen


Das Interview führte Usch Vollenwyder.