Von Diana Staudacher
»Wie gehen wir als Gesellschaft mit der Verantwortung um, die aus Technisierung und Digitalisierung in der Pflege erwächst? Können technologische Hilfsmittel die Autonomie unterstützen und gleichzeitig Nähe und menschliche Wärme bewahren?«, fragte Prof. Dr. Birgit Vosseler, Leiterin Departement Gesundheit an der OST – Ostscheizer Fachhochschule, bei ihrer Begrüßung der Teilnehmenden. Birgit Vosseler hat das Publikum dazu eingeladen, »innovative Ideen zu entwickeln, die durch Empathie und Technologie die Lebenswelt von Menschen mit Demenz bereichern können«.
Im digitalen Zeitalter sollte die Diagnose Demenz nicht dazu führen, Betroffene von technologischen Entwicklungen auszuschließen.
Prof. Dr. Helma Bleses (Hochschule Fulda) betonte: »Wir sollten uns davor hüten, Menschen mit Demenz zu marginalisieren, indem wir sie von Innovationen ausschließen«. Umso wichtiger ist es für die Pflegewissenschaft, herauszufinden, welche spezifischen Bedürfnisse Menschen mit Demenz im Umgang mit Technologie haben.
Technologien gemeinsam entwickeln
Ein »technisch unterstütztes gutes Leben mit Pflege« setzt einen gemeinsamen Entwicklungsprozess voraus, erläuterte Prof. Dr. Renate Schramek (Hochschule für Gesundheit, Bochum). Zusammen mit Betroffenen und Angehörigen erarbeiten Pflegefachpersonen und Forschende optimale Lösungen: Wo liegen die Herausforderungen im Umfeld der Betroffenen? Was sind typische stressauslösende Stresssituationen?
Sobald erste Antworten vorliegen, kommen Techniker:innen ins Spiel. Sie stellen Optionen vor und testen sie. Betroffene und Angehörige wählen die besten Ansätze aus. Diese sind es wert, weiter entwickelt zu werden. »User Testing« und ein begleiteter Einsatz in der Lebenswelt folgen. »Die Nutzenden entscheiden, was gut ist und was zum Ziel führt. Sie nennen die Kriterien für die Bewertung. Was ist für die Nutzenden wichtig? Wann ist Technikeinsatz nicht indiziert? Wann muss der Technikeinsatz abgebrochen werden? Ein enger Bezug zu den Nutzenden ist zentral«, so Renate Schramek. Solche Entwicklungsprozesse erfordern Zeit und »den Willen, es gemeinsam zu machen«.
»Sozial intelligente« Roboter
Laut wissenschaftlicher Definition ist ein Sozialroboter »in der Lage, mit uns zu kommunizieren und zu interagieren, uns zu verstehen und sogar auf persönliche Weise mit uns in Beziehung zu treten. Es ist ein Roboter, der auf menschliche Weise sozial intelligent ist«, erläuterte Prof. Dr. Hartmut Schulze (Fachhochschule Nordwestschweiz).
Studien zeigen, dass Menschen sich gegenüber Sozialrobotern anders verhalten als gegenüber Mitmenschen. Sie achten weniger auf »soziale Erwünschtheit«. Gegenüber einem Roboter sind sie ehrlicher. Beispielsweise sind sie eher bereit, gesundheitliche Probleme zuzugeben.
Das Bestreben, den Gesprächspartner zu »schonen«, ist geringer, wenn es sich um einen Roboter handelt.
Sozialroboter können Menschen mit Demenz das Gefühl geben, »nicht allein zu sein«. Dies ist von großer Bedeutung. Soziotechnische Systeme können jedoch kein Ersatz für menschliche Zuwendung sein. Die Praxis zeigt: Um sozial intelligente Systeme einzuführen, ist eine sorgfältige Begleitung erforderlich. Gefragt sind Personen, die Mensch-Robotik-Interaktionen einleiten können. Begleitende Personen benötigen ihrerseits Lernbegleitung und ethische Reflexionsmöglichkeiten.
Angehörige digital unterstützen
Ein »digitaler Coach«, der Angehörige durch den Alltag begleitet – das ist Idee der »You+Care«-App. Prof. Dr. Jürgen Späth (Zürcher Hochschule der Künste) stellte diese App vor und berichtete über den Entwicklungsprozess.
»Wie können wir sicherstellen, dass jede betreuende Person zum richtigen Zeitpunkt maßgeschneiderte, relevante Informationen erhält und dabei die Einzigartigkeit jeder Betreuung berücksichtigt wird?« So lautete die Leitfrage. Erforderlich war ein flexibles System, das auf die veränderlichen Bedürfnisse der Angehörigen eingeht. Im Fokus der App stehen die Ressourcen der betreuenden Person.
Die Nutzenden sind eingeladen, ihre individuellen Themen zu entdecken, beispielsweise »Hilfe aus dem Umfeld« oder »Wohnsituation«. Sie erhalten Vorschläge auf der Basis ihres aktuellen Profils – etwa zu den Themen »Vorsorge und Finanzierung«, »Alltag aktiv gestalten«, »Sich verständigen – auch mit Demenz«, »Krankheitswissen Demenz« oder »Nach der Diagnose«. So erhalten pflegende Angehörige das Gefühl, mit ihren Anliegen gehört und verstanden zu werden.
Das wachsame Auge der Technik
Menschliche Aufmerksamkeit ist begrenzt. Die Augen der Fachpersonen können nicht überall gleichzeitig sein. Technologie hingegen ermöglicht ein kontinuierliches Monitoring – zum Schutz der Patientensicherheit. Ein Spitalaufenthalt ist für Menschen mit Demenz mit hohen Risiken verbunden. In diesem ungewohnten, irritierenden Umfeld steigt beispielsweise die Gefahr, zu stürzen oder lebenswichtige medizinische Geräte/Zugänge zu entfernen.
Sven Ziegler (Universitätsklinikum Freiburg/Breisgau) stellte existierende Technologien vor, die Risiken im Akutsetting reduzieren können. Bett-Exit-Informationssysteme registrieren Bewegungen am Bettrand oder das Verlassen des Bettes. Die Systeme informieren Pflegefachpersonen, damit sie sofort handeln können. Technologiesysteme tragen dazu bei, freiheitseinschränkende Massnahmen zu reduzieren. Mittels Technologie wird es im Akutbereich zunehmend möglich, vorausschauend zu handeln – statt zu reagieren. Fachpersonen können einschreiten, bevor ein kritisches Ereignis eintritt.
Auch die Diagnostik von Demenz wird inzwischen immer stärker durch Technologie optimiert. Darüber berichtete Prof. Dr. Hans-Jürgen Huppertz (Schweizerisches Epilepsie-Zentrum, Klinik Lengg, Zürich). Er zeigte innovative Wege der Früherkennung von Demenz mittels MRI-Bildgebung auf. Über weitere Aspekte der Technologisierung im Demenz-Bereich konnten sich die Teilnehmenden in insgesamt vier Keynotes, neun Referaten und zwei Workshops informieren. Dabei zeigte sich: Innovative Technologien erfordern immer auch neue Formen der begleitenden ethischen Reflexion.
Zehnjähriges Kongressjubiläum
»Das Thema Demenz ist und bleibt in unserer Gesellschaft von hoher Relevanz. Dass ein Kongress zu diesem spezifischen Thema fest etabliert ist, zeigt dies ganz deutlich«, betonte Martina Merz-Staerkle, ehemalige Leiterin des Fachbereichs Gesundheit, anlässlich des zehnjährigen
Kongressjubiläums. Sie wandte sich an alle Anwesenden mit einem Dank: »Ich möchte Ihnen allen danken – auch im Namen der Menschen mit Demenz. Danke, dass sie sich immer wieder mit Themen auseinandersetzen – mit dem Ziel, diese Menschen besser zu verstehen, ihre Bedürfnisse zu erkennen und so ihre Lebensqualität zu verbessern«.
Martina Merz-Staerkle hob hervor, dass die Arbeit der Pflegenden unverzichtbar ist: »Sie und Ihr Wirken sind systemrelevant!« Mit Blick auf die Zukunft geht es um förderliche Führung in Institutionen, um unterstützende Rahmenbedingungen und um eine faire Finanzierung durch Wirtschaft und Politik: »Bleiben wir dran – es braucht uns alle!«
St. Galler Demenzkongress 2025
Der 11. St.Galler Demenz-Kongress findet am 12. November 2025 statt.