(Tobias Hänni) Die Aussichten stimmen wenig optimistisch: Der Schweiz droht im Pflegebereich in den nächsten Jahren eine grosse Personallücke. Was sich seit Jahren abzeichnet, bestätigte zuletzt der Anfang September veröffentlichte «Nationale Versorgungsbericht 2021» zum Gesundheitspersonal in der Schweiz.
Der vom Schweizerischen Gesundheitsobservatorium Obsan publizierte Bericht rechnet – in einem mittleren Szenario – damit, dass bis 2029 rund 20 000 Pflegende sämtlicher Ausbildungsstufen im Gesundheitswesen fehlen werden.
Berufskarrieren in der Pflege
«Längsschnittstudie nach dem Berufseinstieg»
Projektleiter: René Schaffert
Projektmitglieder: Dominik Robin, Andreas Bänziger
Projektpartner: Schweizerisches Observatorium für die Berufsbildung OBS EHB
Zwar seien die Ausbildungszahlen in den letzten Jahren deutlich gestiegen, dies reiche jedoch nicht, um die Lücke zwischen Angebot und Bedarf zu schliessen, heisst es im Bericht. Es brauche, so die Verfasser, Rahmenbedingungen, um das Personal im Beruf zu halten.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine Langzeitstudie des ZHAW-Instituts für Gesundheitswissenschaften, welche die frühen Berufskarrieren von Pflegenden untersucht hat. «Mit besseren Arbeitsbedingungen können Pflegende länger im Beruf gehalten werden», so das Fazit von Studienleiter René Schaffert.
Für die Studie wurden diplomierte Pflegefachpersonen FH und HF, die 2011/12 ihren Abschluss an einer Höheren Fachschule oder einer Fachhochschule gemacht haben, bis 2019 insgesamt drei Mal befragt. Über 600 Pflegefachpersonen nahmen an der letzten Befragung 2018/2019 teil.
Für ergänzende Auswertungen sind ausserdem Daten zu den Berufslaufbahnen von Fachfrauen/-männern Gesundheit (FaGe) der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB) eingeflossen.
Grosse Diskrepanz bei der Vereinbarkeit
«Sechs Jahre nach dem Berufseinstieg können sich neun von zehn diplomierten Pflegenden vorstellen, auch die nächsten zehn Jahre in der Pflege zu arbeiten. Dafür setzen die meisten von ihnen jedoch bessere Arbeitsbedingungen voraus», fasst Schaffert zusammen.
Der Anteil der Studienteilnehmenden, die nicht mehr im Pflegebereich tätig sind, ist nach sechs Jahren noch überschaubar: Fünf Prozent haben zu diesem Zeitpunkt in einen anderen Beruf gewechselt, weitere fünf Prozent sind nicht erwerbstätig, dies hauptsächlich aus familiären Gründen.
«Bereits zu diesem Zeitpunkt lässt sich aber erkennen, weshalb Pflegende aus dem Beruf aussteigen oder den Ausstieg erwägen: Die aktuellen Bedingungen sind zu belastend und stehen im Widerspruch zu zentralen Bedürfnissen der Pflegenden», sagt René Schaffert. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Vereinbarkeit des Berufs mit dem Privat- und Familienleben.