In den kommenden 30 Jahren werden die Pflegekosten zwischen 200 und 300 Prozent ansteigen.
Bild PD
Die Finanzierung von Pflege und Betreuung steht auf wackligen Beinen und taugt nicht für die Zukunft. An einem Symposium in Zürich prallten gegensätzliche Realitäten und Pläne aufeinander. Besseres Lobbying und eine Roadmap sollen die Wende zum Guten einleiten.
Er fühle sich wie im Sägemehl zwischen mächtigen Schwingern, sagte Patrick Imhof von Spitex Schweiz am Symposium «Pflegefinanzierung – sind wir auf dem richtigen Weg?», das Anfang September in Zürich stattfand. Es sei bisher alles misslungen, was misslingen könne, so Imhof.
Zum Beispiel seien die Behörden im Kanton Solothurn nicht bereit, der Spitex Weg- und Ausbildungskosten zu erstatten. Auch die Streichung der Erstattung von Verbandmaterial habe fatale Folgen nach sich gezogen.
Als Leistungserbringer werde die Spitex zwischen Krankenkassen und Restfinanzierer zerrieben. Moderator Florian Inhauser (Tagesschau SRF) hatte ihn gebeten, das zuvor in Referaten und Diskussionen gehörte zu reflektieren.
Schwierige Situation für Institutionen
Die Spitex-Kaderfrau Claudia Günzel hatte sich vor wenigen Wochen am Zürcher Demenz Meet ähnlich dramatischer Bilder bedient: Sie fühle sich, wie wenn sie die Titanic an Seilen durch die Wüste ziehen müsse.
An gleicher Stelle schilderte der frühere Heimleiter Michael Schmieder, wie es sich anfühlt, wenn man sich dauernd bei Krankenkassen und Behörden rechtfertigen müsse und als potenzieller Betrüger dastehe. Die Aussagen von Imhof, Günzel und Schmieder stehen stellvertretend für die Situation der Leistungserbringer in der Pflege und Betreuung von alten Menschen.
Claudia Günzels Manifest
Manifest
«Als würde ich die Titanic an Seilen durch die Wüste ziehen»
Claudia Günzel sass als Teamleiterin bei der Spitex an der Schnittstelle zwischen Fachpersonal und Bürokratie. Ständig musste sie sich mit Dingen befassen, die … weiterlesen
Gewisse Szenen am Finanzierungs-Symposium, zu dem dialog@age eingeladen hatte, entbehrten bei aller Tragik nicht einer gewissen Komik. Innerhalb der «Speed-Interviews» wollte zum Beispiel die Patientenvertreterin Erika Ziltener vom Santésuisse-Mann Christoph Kilchenmann (Verband der Krankenkassen) wissen, warum vielen Bewohnern von Altersheimen Prämien für Ausland- und Taggeldversicherungen verrechnet würden.
Herumdrucksen der Kassen
Oft seien alleinstehende und bedürftige Menschen, die sich nicht wehren könnten, von solchen Unverschämtheiten betroffen. Als Kilchenmann herumdruckste, verknurrte der Moderator Florian Inhauser den Kassenvertreter zum kleinlaut vorgebrachten Geständnis, die Krankenkassen seien für diesen Missstand verantwortlich.
Ziltener war für einen weiteren Höhepunkt des Symposiums verantwortlich. Sie störe es, dass alte Menschen nur noch als Kostenfaktor und gesellschaftliche Last wahrgenommen würden, sagte sie. Im Sinne eines Perspektivenwechsels erteilte sie dem Gesundheitsökonomen Stefan Felder eine Aufgabe:
Er solle ausrechnen, wie viele Implantate über 85-Jährige in der Schweiz erhalten hätten und wie gross die volkswirtschaftliche Bedeutung dieses Wirtschaftszweigs sei. Felder reagierte mit Arroganz: Er lud Ziltener ein in seine Vorlesung an der Universität Basel – erstes Semester, natürlich.
Deutschland als Vorbild!?
Felder sorgte mit einer weiteren Aussage bei vielen Teilnehmenden des Symposiums für Stirnrunzeln. Er sagte, in Deutschland seien Privatisierung und Wettbewerb weiter fortgeschritten. Er suggerierte damit, dieser Prozess sei auch in der Schweiz anzustreben.
Dass in Deutschlands privaten Heimen systematisch Leistungen weggespart und viele Bewohner unzureichend gepflegt werden, erwähnte er nicht. Er verschwieg auch, dass die dortigen Pflegekonzerne gleichzeitig fette Renditen einspielen.
Bei der abschliessenden Podiumsdiskussion berichtete der Glarner Gesundheits- und Finanzdirektor Rolf Widmer von der Uneinsichtigkeit der eidgenössischen Parlamentarier (70 davon stünden im Sold der Krankenkassen) und des Bundesamtes für Gesundheitswesen (BAG). Marco Borsotti vom Heimverband Curaviva wies auf die immer anspruchsvoller werdende Klientel hin – und die damit steigenden Anforderungen an die Institutionen.
Positives gibt es aber auch zu berichten: Zum Beispiel von einer stärker werdenden Allianz der Leistungserbringer und Restfinanzierer (Gemeinden und Kantone) und von gemeinsamen Vorsprachen beim BAG, die bereits erste Früchte tragen.
Dass 180 Experten aus verschiedenen Bereichen am Symposium teilnahmen, ist auch ein gutes Zeichen. Es zeigt die in weiten Kreisen vorhandene Unzufriedenheit mit dem bestehenden System.
Eine gemeinsame Roadmap soll nun die Ziele und die Wege zu diesen Zielen klarer formulieren. Die Teilnehmer des abschliessenden Podiums waren sich einig: Es braucht grössere Veränderungen – aber es werden noch viele Jahre vergehen, bis auch nur ein Teil dieser Ziele erreicht ist.
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