«Bin ich der Schlafsack meiner Seele?» Auf diese vom Schweizer Künstlerduo Peter Fischli/David Weiss gestellte Frage gibt es vermutlich ähnlich viele Antworten, wie wenn ich Sie frage: «Was bedeutet für Sie Wertschätzung?»
Vor Jahren entwickelten Peter Dolder und ich als Wohngruppenleiter eine Idee: Wir wollten über der Haustür zwei grosse, kuschelige, rosa Fellhandschuhe befestigen. Sie sollten jedem Mitarbeitenden bei Arbeitsbeginn und -ende den Kopf streicheln. Als Dank für sein Kommen und sein geleistetes Werk – im Sinne von Wertschätzung, denn davon können wir ja nie genug bekommen.
Natürlich war diese Idee mit einem Augenzwinkern verbunden, aber sie trifft den Kern. Jahre später versuchten wir, diesen unscharfen Begriff klarer zu definieren, und gelangten zu folgenden Schlüssen:
Wertschätzung, wertschätzende Haltung und wertschätzendes Handeln sind abstrakte Worthülsen, die wir füllen wollen. Auch die mit Wertschätzung verbundenen Begriffe wie Respekt, Wohlwollen, Achtung umschreiben eine innere allgemeine Haltung und bedürfen weiterer gemeinsamer Klärung.
Die Suche nach Definition, Klärung und einem gemeinsamen Verständnis kann auf vier Ebenen betrachtet werden:
- Grundannahmen zum Menschsein, persönliche Prägungen, anthropologische, erkenntnistheoretische und ethische Annahmen zur menschlichen Existenz
- Basistheorien, die unserem Tun zu Grunde liegen
- Prinzipien, die das professionelle Handeln leiten
- das TUN, das Handeln
Der Mensch als individuelles und soziales Wesen
Aus der ganzheitlichen Sicht auf den Menschen gehören zum Individuum alle Gefühlsregungen und deren Auswirkungen: Liebe und Hass, Demut und Hochmut, Grosszügigkeit und Missgunst, Vertrauen und Misstrauen, Freude und Ärger, Gestaltung und Zerstörung, Miteinbeziehen und Konkurrenzdenken, Solidarität und Machtgelüste, Humor und Zynismus usw.
Prägend sind biologisch-genetische Ausgestaltungen, das familiäre Umfeld und das soziale und kulturelle Umfeld.
Beengung und Freiraum wird immer subjektiv und individuell erlebt. In unserem Verständnis gehört zum Menschen genauso die Lust nach Nichtstun und Konsum – wie die Lust am Agieren und sich kreativ zu entfalten.
Der Mensch kann nicht immer von einer bedingungslosen Mutterbeziehung ausgehen, was nicht unweigerlich zu «pathologischem» Verhalten führt, da Beziehungsfähigkeit auch lebenslang weiterentwickelt wird.
Diskussionsidee
Einleitung zum persönlichen Menschenbild
Erfahrungen, Menschen, Bücher, Filme und Bilder haben uns geprägt und auf den Weg gebracht, den wir heute verfolgen. Es gibt allgemeine Annahmen, die umschreiben, «was der Mensch ist». Jede und jeder denkt zwar anders darüber — und doch finden wir in den Berufsgruppen oft ähnliche Vorstellungen zu dieser Frage.
Einzelaufgabe: Stelle dir eine Linie vor, die deinen Lebensweg darstellt, zeichne auf der Linie prägende Menschen, Situationen und Dinge ein, die dich zu der Berufsperson gemacht haben, die du heute bist.
Aufgabe in kleinen Gruppen: Bitte erläutert kurz eure Bilder und diskutiert dann eure Überlegungen zu den folgenden Fragen. Schreibt zu den Sätzen eine Stellungnahme auf Blätter.
Gruppe gelb
- Wie frei und unabhängig ist der Mensch?
- Wie rational oder emotional ist der Mensch?
Gruppe blau
- Wie lernt, entwickelt sich der Mensch? Genetik, Soziales Umfeld, Erziehung…
- Wie erfährt der Mensch Sinn im Leben?
- Was gibt dem Menschen Sinn im Leben?
Gruppe grün
- Was bedeutet Arbeit für den Menschen?
- Wie wichtig ist das soziale Umfeld für den Menschen?
Im beruflichen und institutionellen Kontext bedarf es einer vertieften Begriffsklärung, eines Bildungsprozesses und einer Auseinandersetzung mit den Vorstellungen der Beteiligten — zum Beispiel den Leitbildprozess. Dabei können sich die Beteiligten auf einen grösstmöglichen gemeinsamen Nenner einigen und diesen definieren.
Die persönlichen Annahmen, Denkweisen, Einstellungen und Ansichten sind individuell handlungsleitend – durch die gemeinsame Definition, was wir als Organisation für Grundannahmen haben, erhalten sie eine Verbindlichkeit.
Zum Beispiel: Der Mensch will sich und seine Mitwelt verstehen. Der Mensch braucht Respekt und Wertschätzung seiner Existenz. Da ist er wieder, der Begriff «Wertschätzung»!