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Nationalrätin Bea Heim

«Die Krankenkassen haben leichtes Spiel»

Die steigenden Gesundheitskosten und der demografische Wandel verleiten die Politik dazu, dort zu sparen, wo mit wenig Widerstand mächtiger Lobby-Organisationen zu rechnen ist. Véronique Hoegger

Die Solothurner Nationalrätin Bea Heim appelliert an alle Verantwortlichen im Gesundheitswesen, die schleichende Bürokratisierung zu bekämpfen und mehr dafür zu tun, die Lebensqualität in Heimen und Institutionen für Bewohnende und Belegschaft zu verbessern.

alzheimer.ch: Die Heime werden regelmässig kontrolliert durch Mitarbeitende der Krankenkassen. Diese kontrollieren aber nur, ob die Dokumentation richtig geführt wird. Die effektiv erbrachten oder nicht erbrachten Leistungen haben dabei keine Relevanz. Es interessiert offenbar niemanden, wie es den Bewohnern geht. Machen solche Kontrollen Sinn?

Bea Heim: Ob im Spital, in Heimen oder in der Spitex, immer ist spürbar: Die Pflegenden wollen im Interesse der Kranken ihre Arbeit so gut machen wie möglich, zugewandt, mit Wärme und oft sogar mit Humor. Dass sie ihre Arbeit hernach in langen Checklisten dokumentieren müssen, raubt ihnen Zeit und Nerven, gehört aber längst als Pflicht dazu.

Denn ist etwas nicht richtig erfasst, ist der Ärger programmiert. Es werden, während Menschen zu pflegen sind, Erbsen gezählt. Leicht ist das alles nicht. Wie es den Patientinnen und Patienten im Spital geht, muss interessieren, aber weniger die kontrollierenden Krankenkassen als die Betroffenen selbst, die Pflege und die Ärzteschaft.

SP-Nationalrätin Bea HeimPD

Wie es den Bewohnerinnen und Bewohnern in Heimen geht, ist auch von den Angehörigen eine oft gestellte Frage. Sie beschäftigt mich und ergeht meinerseits an die Pflegeleitung, die Heimleitung, die kantonale Aufsicht und die Ärzteschaft.

Die Krankenkassen haben die Aufgabe der Rechnungskontrollen und unter diesem Aspekt sind die Kontrollen der Pflegedokumentation wohl ihr einziges Mittel, um ihren Auftrag zu erfüllen.

Doch mit Blick auf die Lebensqualität in Heimen, braucht es natürlich viel mehr. Da stehen alle Obgenannten in der Verantwortung, auch die Aufsichtsbehörden der Kantone. 

Pflegende verbringen heute bis zu einem Drittel ihrer Arbeitszeit mit Dokumentieren. Der Kostendruck sorgt dafür, dass sie zusätzlich von der Arbeit mit den Patienten ferngehalten werden, da weniger Personal. Absehbar sind weitere Dokumentationspflichten, wie von Santésuisse bereits angedeutet.

Nur wenige Fragen werden in der Pflege so kontrovers diskutiert wie die Notwendigkeit und der Nutzen der heutigen Form der Pflegedokumentation. Die Positionen reichen von bürokratischer Zusatzbelastung, die von pflegerischen Kernaufgaben abhält, bis hin zur Auffassung, dass die Dokumentation als Nachweis professioneller Pflege und zur Sicherung von Pflegequalität unverzichtbar sei.

Und der Nutzen für die Pflegebedürftigen? Er wird zwar erwartet – bleibt aber als zusätzliche pflegebezogene Lebensqualität von der Politik kaum beachtet.

So drohen diese immer differenzierteren Anforderungen die Pflegedokumentation zu einer Fehlkonstruktion zu pervertieren.

Nämlich dann, wenn es nur noch um Zahlen geht, statt um Menschen.

Warum ist es so weit gekommen? Was muss geschehen, damit sich die Pflegenden und Betreuenden wieder mehr um die Patienten kümmern können?

Die steigenden Gesundheitskosten und die demografische Entwicklung verleiten die Politik dazu, dort zu sparen, wo mit wenig Widerstand potenter Lobby-Organisationen zu rechnen ist. Dies ist leider bei feminisierten Tätigkeiten wie der Pflege, und vor allem der Alterspflege, der Fall.

Bea Heim

Bea Heim sitzt seit 16 Jahren im Nationalrat, der grossen Kammer der Eidgenossenschaft. Die Sozialdemokratin ist u.a. Mitglied der Sozial- und Gesundheitskommission, Ko-Präsidentin der Parlamentarischen Gruppe Pflege sowie Ko-Präsidentin der Parlamentarischen Gruppe für Altersfragen. Wichtige Mandate sind Präsidentin Stiftungsrat der Pro Senectute Kanton Solothurn sowie Ko-Präsidentin der VASOS (Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfeorganisationen der Schweiz).

Es ist wohl auch Ausdruck mangelnden Wissens der Politik über die zentrale Bedeutung der Pflege für Patientinnen und Patienten. Dass die Anforderungen und die Verantwortung insbesondere in der Alterspflege für Gesunde und Junge kaum sichtbar sind, beeinflussen die politischen Entscheide ebenfalls.

Somit haben Krankenkassen ein leichtes Spiel, mit immer strengeren zeitlichen Vorgaben die Pflege zu pisacken und politische Behörden davon zu überzeugen, so könnten Kosten eingespart werden. Hinzu kommt, dass auch die Kantone versuchen, sich genau in diesen Bereichen zu entlasten, zugunsten der Steuerzahlenden.

Was muss geschehen, damit sich die Pflegenden und Betreuenden wieder mehr um die Bewohner und Patienten kümmern können?

Viel. Eine Chance, den Beruf in der gesellschaftlichen Wertschätzung aufzuwerten, bildet die Initiative für eine starke Pflege. Zudem ist der Stigmatisierung des Alters als reinen Kostenfaktor entgegenzutreten.

Insofern ist die Stimme der Seniorinnen und Senioren für mehr Selbstbestimmung und Autonomie wichtig und vielleicht gar eine Unterstützung für die Pflegenden, gemeinsam eine einflussreiche Lobby zugunsten der Pflege zu bilden.

Denn trotz täglichem Kampf mit der Bürokratie und dem Personalmangel sind die Pflegefachpersonen gefordert, ihre Fachlichkeit einzusetzen, um sich zusammen mit Organisationen aus den Bereichen des Alters und der Medizin für eine ausreichende Finanzierung der Palliative-Care und der Demenzpflege zu engagieren.

Für beide Themen hat die nationale Politik zwar eine Strategie formuliert, doch hapert es mangels Finanzierung an deren Umsetzung, dabei wäre dies dringlich.