Die Barrieren aus den Köpfen wegschaffen - demenzjournal.com
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Demenzfreundliche Gemeinde

Die Barrieren aus den Köpfen wegschaffen

Uetikon am Zürichsee: Hier lancierte die Arbeitsgruppe 60plus eine Sensibilisierungs- und Informationskampagne. PD

Ende 2014 gab es im Kanton Zürich massive Widerstände gegen den geplanten Bau von acht Wohnungen für Menschen mit Demenz. Hat ein Wissensdefizit dazu geführt? In Uetikon wollte man ähnliche feindliche Reaktionen verhindern und begab sich auf den Weg zum demenzfreundlichen Dorf.

Die Nachricht in der Zürichsee-Zeitung vom Widerstand gegen die Wohnungen verstand Brigitte Gloor als Stigmatisierung und Abwertung von Menschen mit Demenz. Gloor ist Mitglied der Uetiker Sozialkommission und brachte das Thema in die von ihr geleitete Arbeitsgruppe 60plus ein. Diese lancierte eine Sensibilisierungs- und Informationskampagne.

Auf Unverständnis des Umfeldes zu stossen sei leider kein Einzelfall, so Stefanie Becker, Geschäftsleiterin von Alzheimer Schweiz und Vorstandmitglied des Dachverbandes Alzheimer Europe. Der Schluss daraus sei für Menschen mit Demenz und deren Angehörige dann häufig der soziale Rückzug. 

Dies bedeute insgesamt eine Verschärfung der gesellschaftlichen Tabuisierung. Deshalb gelte es, Mut zu machen, Unterstützung anzubieten und den Gegenbeweis anzutreten.

Die Barriere in den Köpfen und das Tabu «Demenz» wegzuschaffen, Wege für eine andere gesellschaftliche Haltung gegenüber Menschen mit Demenz zu ebnen, sind auch zentrale Anliegen der kantonalen Alzheimervereinigungen.

Ein Weg dabei kann die Erhöhung der Sensitivität durch möglichst gut zugängliche, alltagsnahe und verständliche Aufklärung auf allen Ebenen sein. Auch Umweltfaktoren, wie die Gestaltung von Strassen, Parks, öffentlichen Gebäuden und Geschäften, spielen eine Rolle, so Becker.

«Demenz ist bei weitem keine individuelle Herausforderung mehr, sondern auch eine gesellschaftliche.»

Stefanie Becker

Der Dachverband Alzheimer Europe und das EU-Parlament forderten bereits 2011 die Staaten der Europäischen Union auf, Demenz zu einem zentralen gesundheitspolitischen Thema zu machen, nationale Demenzpläne zu erstellen und umzusetzen. Ende 2013 entschlossen sich die G8-Gesundheitsminister auf dem Demenzgipfel in London, wirksame Massnahmen zu ergreifen.

Wie sieht eine demenzfreundliche Stadt aus?

Lebensräume

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Der gesellschaftliche Handlungsbedarf für mehr Demenzfreundlichkeit wurde in der 6000-Seelen-Gemeinde Uetikon wahrgenommen. Mit einem Jahr Vorlauf lancierte die Arbeitsgruppe 60plus die Uetiker Demenztage – ein Programm aus Vorträgen, Filmen, Diskussionen, Musik und Informationen, unter anderem durch den Besuch des Infomobils von Alzheimer Schweiz. Es wurden über 700 Interessierte erreicht.

«Auf dem Gehsteig und im Supermarkt wurde so etwas wie Solidarität spürbar.»

Brigitte Gloor

Der Erfolg dieser Tage ist einem breiten gesellschaftlichen Querschnitt der beteiligten Akteure und der Unterstützung der Sozialkommission geschuldet. Neben kirchlichen, sozialen, wissenschaftlichen, politischen und kulturellen Multiplikatoren konnten auch viele kleine Anbieter aus den Bereichen Freizeit, Betreuung und Beratung für eine Mitwirkung gewonnen werden.

«Das Mitwirken an einem demenzfreundlichen Dorf ist ein nicht endender Prozess.»

Brigitte Gloor

Brigitte Gloor leitet die Arbeitsgruppe 60plus.PD

Die Arbeitsgruppe 60plus in Uetikon bleibt weiterhin in Projekten medial und personell aktiv. Zum Beispiel beim Aufbau des Gipfeltreffen Zürichsee, einer Aktivierungs- und Gesprächsgruppe für Menschen mit Gedächtnisschwierigkeiten. Oder bei der Lancierung der Seniorenrhythmik nach Emile Jaques-Dalcroze.

Als Folgepunkt entstand zudem die Broschüre «Demenzerkrankungen – Wer hilft wo?». Die Kompetenzen und bestehenden Netzwerke der Arbeitsgruppenmitglieder zeigten ihre Wirkung im Nachgang auch über die Grenzen von Uetikon hinaus: In weiteren Seegemeinden wurden Veranstaltungen initiiert, wie zum Beispiel die Gossauer Demenztage.

Ist Uetikon nun ein demenzfreundliches Dorf? «Man darf nicht nachlassen, weiter zu sensibilisieren, zu vernetzen, Initiativen zu unterstützen», so Gloor. «Betroffene und Angehörige müssen ermutigt werden, sich der Krankheit zu stellen, selbstverantwortlich massgeschneiderte Lösungen zum Umgang mit der Krankheit zu suchen.»

Es brauche zudem geeignete Wege der Informationsvermittlung: Wie müssen Online-Informationen zugänglich gemacht und aufbereitet werden, damit sie an der richtigen Stelle ankommen? Auch Lobbyarbeit sei wichtig, so die Präsidentin der Arbeitsgruppe 60plus, denn Betreuung und Freizeitangebote würden von den Krankenkassen nicht bezahlt. 

«Eine demenzfreundliche Gesellschaft kommt letztlich allen Menschen zugute, seien sie jung oder alt, krank oder gesund, auf Unterstützung angewiesen oder nicht.»

Stefanie Becker

Als Kollektivmitglied der Alzheimervereinigung des Kantons Zürich darf Uetikon für das ehrenamtliche Engagement der Arbeitsgruppe weitere Unterstützung erwarten. «In diesem Jahr möchten wir von Alzheimer Schweiz ein Tool-Kit erarbeiten, das es interessierten Gemeinden erleichtern soll, Ideen zu entwickeln und sie in der Umsetzung auf dem Weg zu einer demenzfreundlichen Gemeinde unterstützt», so Becker. 

Demenzfreundliches Tankstellen-Bistro

Eddas Finger sind rot von der Diavolo-Pizza. Wir befinden uns in einem grossen Bistro an einer Tankstelle. Edda liebt es, ohne Ziel in der Stadt herumzufahren und irgendwo einzukehren. Positive Erinnerungen kommen dann in ihr hoch. Nun rasten wir immer wieder am selben, barrierefreien Ort, an dem es eine Vielfalt an Speisen und Getränken und vor allem an normalen Menschen gibt. Hier gehen Jungs von der Schule ein und aus, Aktenträger mit Krawatte, Eltern mit Kinderwägen oder eben Edda.

Während ich ein Dessert hole, hantiert sie mit Skat-Karten, die ich ihr auf dem Tisch ausgebreitet habe. Sie ordnet sie nach Farbe und Zahl. Die Tischnachbarn blicken etwas verwundert. Der junge Mann mit Lederjacke und Hals-Tattoo und die Dame daneben lächeln und nippen sie weiter an ihrem Eistee. Edda dankt die ihr entgegengebrachte Selbstverständlichkeit mit Ausgeglichenheit.

«Wie heißt denn du?», fragt sie den jungen Mann am Nachbartisch im Tankstellen-Bistro. «Bodo. Und wer bist du?», fragt er sie interessiert zurück. «Ich bin die Edda.»

Er ist ihr sympathisch. Im Seniorenheim, wo Edda bedrückende fremde Schicksale erlebt, sitzt sie oft mit einem über den Kopf gezogenen Pullover da. Dann ist Funkstille. Hier und da lässt sie als Hilfeschrei Gegenstände durch den Raum segeln: «Ich bin doch nicht verrückt!» – wie all die anderen hier?

Aufgeweckt ruft sie dem freundlichen, jungen Mann zu: «Ich habe dich gern!» Bodo gehen die Worte warm den Rücken hinunter. Vielleicht hat ihm das seine eigene Grossmutter noch nie gesagt. Den ganzen Abend erzählt Edda im Heim von Bodo und der leckeren Pizza. Wo das war, das hat sie vergessen.