«Das Erwachsenenschutzgesetz ist gut, wir können nun auf die Situation massgeschneiderte Massnahmen ergreifen», sagt Christina Manser. «Die Abläufe sind aufwendiger als früher. Aber wir haben den grösseren Spielraum, um auf die individuellen Bedürfnisse einzugehen.» Manser ist Präsidentin der KESB im Rheintal. Die Juristin und Lehrerin leitet ausserdem die monatlichen Treffen zum Erfahrungsaustausch zwischen den neun KESB-Präsidenten im Kanton St. Gallen
KESB
Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) haben die Aufgabe, den Schutz von Personen sicherzustellen, die nicht selbständig in der Lage sind, die für sie notwendige Unterstützung einzuholen. So beispielsweise wenn sie noch minderjährig sind und die Eltern sich nicht um sie kümmern können, sie geistig behindert, psychisch beeinträchtigt oder schwer suchtkrank sind. Im Kanton Zürich beispielsweise betreiben die Gemeinden 13 interdisziplinär zusammengesetzte KESB. Zu diesem Zweck haben sich die Gemeinden – mit Ausnahme der Stadt Zürich – interkommunal organisiert.
In den eidgenössischen Räten sorgte das Erwachsenenschutzgesetz kaum für Diskussionen. Während der Vernehmlassung wurde einzig über das Vertretungsrecht durch eingetragene oder homosexuelle Partner debattiert.
Sonst herrschte Einigkeit, und das neue Gesetz wurde von National- und Ständerat ohne grosse Diskussionen verabschiedet. Anfang 2013 trat es in Kraft. Die Anpassung des Zivilgesetzbuches (ZGB) verfolgte die Ziele:
- Förderung des Selbstbestimmungsrechts durch Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung
- Stärkung der Solidarität in der Familie mittels gesetzlicher Vertretung durch Ehegatten/eingetragene Partner und gesetzlicher Vertretung bei medizinischen Massnahmen
- Behördliche Massnahmen den individuellen Bedürfnissen anpassen
Gleichzeitig mit seiner Einführung löste die KESB die bisherigen Vormundschaftsbehörden der Gemeinden ab. Öffentlich wahrgenommen wurde die KESB vor allem im Zusammenhang mit Konflikten um das Sorgerecht von Kindern.
Grösste Aufmerksamkeit erregte ein tragischer Fall, der sich im zürcherischen Flaach zugetragen hatte: Dort hatte eine Mutter ihre beiden Kinder getötet, kurz bevor diese nach dem Willen der KESB in einem Heim untergebracht werden sollten. Vertreter der Schweizerischen Volkspartei (SVP) forderten danach die Wiedereinführung der bisherigen Vormundschaft, die in der Regel von Laien ausgeführt worden war.
Als «völligen Blödsinn» bezeichnet der Demenz-Experte und frühere Zürcher Stadtarzt Albert Wettstein dieses Anliegen. Wettstein präsidiert seit seiner Pensionierung im Jahr 2011 die Fachkommission der unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter (UBA). In dieser Funktion wird Wettstein immer wieder mit besonders schwierigen Fällen konfrontiert. «Am häufigsten haben wir es mit psychischer Misshandlung zu tun», sagt Wettstein.
«Oft sind es überforderte Angehörige, die Menschen mit Demenz schlecht behandeln, unter Druck setzen oder manipulieren.»
Am zweithäufigsten haben es die interdisziplinären Teams der UBA laut Wettstein mit Familienkonflikten zu tun. Wenn es um die Übersiedlung in ein Heim oder um die Verweigerung eines Besuchsrechts geht, komme es manchmal zur Eskalation:
«Wir hatten ein paar furchtbare Konflikte zwischen Kindern und Geschwistern oder zwischen Kindern und dem Stiefvater. Jetzt haben wir den Vorteil, dass es dank dem neuen Gesetz eine klare Regel gibt, wer die Interessen eines Menschen mit Demenz vertritt.»
Video – Albert Wettstein über versteckte Gewalt im Alter
Interview mit Dr. med. Albert Wettstein von der Fachstelle der Unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter
Menschen mit Demenz sind Häufig Gewalt ausgesetzt alzheimer.ch/Marcus May
Das ZGB listet im Artikel 378 auf, welche Personen der Reihe nach berechtigt sind, eine urteilsunfähige Person zu vertreten und den vorgesehenen ambulanten oder stationären Massnahmen die Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern:
- die in einer Patientenverfügung oder in einem Vorsorgeauftrag bezeichnete Person;
- der Beistand mit einem Vertretungsrecht bei medizinischen Massnahmen;
- wer als Ehegatte, eingetragener Partner einen gemeinsamen Haushalt mit der urteilsunfähigen Person führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet;
- Person, die mit der urteilsunfähigen Person einen gemeinsamen Haushalt führt und ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet;
- die Nachkommen, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten;
- die Eltern, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten;
- die Geschwister, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten.