«Es ist höchste Zeit, diesen Heldinnen und Helden des Alltags gebührend zu danken», sagte Bundesrat Alain Berset zum Tag der pflegenden und betreuenden Angehörigen am 31. Oktober. In seinem Referat, das er an einer Veranstaltung des Entlastungsdienstes Schweiz hielt, erwähnte er, dass er die Situation kenne, wenn ein Familienmitglied Betreuung brauche. «Das ist ja der Punkt bei diesem Thema: Wir sind alle betroffen oder werden in Zukunft betroffen sein.»

Berset ist seit 2011 im Amt. Unter ihm hat das Bundesamt für Gesundheitswesen (BAG) in Zusammenarbeit mit diversen Institutionen und Fachleuten die Nationale Demenzstrategie 2014 – 2017 entwickelt und bis 2019 verlängert. Diese definierte die vier Handlungsfelder «Gesundheitskompetenz, Information und Partizipation», «Bedarfsgerechte Angebote», «Qualität und Fachkompetenz» und «Daten und Wissensvermittlung».

Der Fokus auf diese vier Handlungsfelder macht Sinn. Doch definiert die Strategie – ob vorsätzlich oder versehentlich entzieht sich meiner Kenntnis – nicht, wer die vielen Massnahmen bis wann und in welchem Rahmen umsetzen soll. Und vor allem: Wo das Geld herkommen soll, um das alles zu bezahlen.

Die Demenzstrategie wird als Papiertiger in die Geschichte eingehen.

Menschen mit Demenz werden noch immer stigmatisiert, ihre Angehörigen stehen einem kaum zu überschauenden und teilweise schwer zugänglichen Dschungel von Hilfsangeboten gegenüber. Die Betreuung wird nicht bezahlt, und das Risiko, wegen der Demenz eines Familienmitgliedes arm und krank zu werden, ist nicht kleiner geworden.

Demenz Zürich (Daniel Wagner) und Alzheimer Schweiz (Stefanie Becker) haben mit Unterstützung von alzheimer.ch und der Sonnweid (Michael Schmieder) das Demenzmanifest realisiert. Die in diesem Rahmen entwickelten Forderungen und eine Unterschriftensammlung sollen Druck machen auf die Politik.

Wenn man die jüngsten Ereignisse in der Demenz-Politik betrachtet, gibt es wenig Hoffnung auf Besserung. Statt die Demenzstrategie zu verlängern und wirkliche Anstrengungen zu unternehmen, sie auch zu realisieren, lässt man sie auslaufen. Das Nachfolgeprojekt heisst «Nationale Plattform Demenz». 

Dieses Vorhaben sieht im Angesicht einer BAG-Mitteilung noch weniger vielversprechend aus als die Demenzstrategie. Es ist zwar zu begrüssen, wenn sich Bund und Kantone mehr austauschen und einheitlichere Finanzierungsmodelle entwickeln.

Es ist gut, wenn die Aktivitäten im Bereich Demenz besser «koordiniert und für alle sichtbar» werden.

Im letzten Abschnitt der Mitteilung wird klar, woher der Wind weht: Es müsse Instrumente geben, «um Überversorgung zu verhindern und damit das Kostenwachstum zu dämpfen».

Das Kostenwachstum lässt sich auch dämpfen, indem man die Angehörigen weiterhin ihren im heutigen Umfeld oftmals zermürbenden «Job» allein machen lässt. Gemäss einer Untersuchung von Alzheimer Schweiz ersparen sie damit dem Gesundheits- und Sozialwesen jährlich Kosten von 5,5 Milliarden Franken.

Der Gesundheitsminister Berset sollte viel mehr tun, als einmal jährlich «den Heldinnen und Helden des Alltags» zu danken. Wir sollten aber die Schuld nicht ihm allein zuschieben.

Berset führt das aus, wofür ihn das Parlament und letztlich das Volk beauftragen.

Vielleicht sorgt das «Linksrütschli» der vergangenen Wahlen dafür, dass wirtschaftliche Interessen im Gesundheits- und Sozialwesen ein bisschen weniger wichtig werden – und Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen mehr Lebensqualität erfahren dürfen.