Musiker, Klimaaktivist und Flüchtlingshelfer - demenzjournal.com

Die Aktiven

Musiker, Klimaaktivist und Flüchtlingshelfer

Beethoven, Haydn, aber auch mal Musical-Melodien. Wolfgang Hansen spielt Klavier im Karlsruher Seniorenorchester. Bild Christoph Püschner

Wer wissen will, wie Kreativität im Alter aussieht, sollte Wolfgang Hansen mal ein paar Tage begleiten. Der 71-Jährige mischt sich in die Klimapolitik ein und greift in die Tasten.

Von Erdmann Wingert, Mut – Magazin für Lösungen

Wolfgang Hansen macht keine halben Sachen, egal was er anpackt – und er packt vieles an. Das hat ihm bis heute Spass und Erfolg beschert, ist aber für ihn nicht immer gut gegangen, zum Beispiel als er noch Chemiefabriken gebaut hat.

Wo überall, davon will er gar nicht erst anfangen, auf jeden Fall war’s rund um die Welt, vor allem in Asien, auch in Südamerika, ein unablässiges Unterwegs, das an die Substanz ging und mit einem Herzinfarkt endete.

Grund genug, durchzuatmen und etwas Neues in die Hand zu nehmen, zumal er schon das Rentenalter erreicht hatte. Klar, dass es etwas mit Musik zu tun haben sollte, denn solange er denken konnte, hatte er gern Klavier gespielt, zudem noch richtig gut, denn er hatte die Gabe, nach Gehör zu spielen.

«Ich hör’ ein Stück von Mozart oder irgendeinen Ohrwurm aus einer Operette und hab’s drauf», sagt Wolfgang Hansen, inzwischen 71 Jahre alt und kein bisschen eitel. Er sagt es eher mit einem Unterton von Bedauern, denn das reine Musikvergnügen sei es doch, mit anderen zusammen zu spielen, doch diese Gelegenheit hatte sich bei seinem unsteten Lebenswandel bisher nicht ergeben.

Da schien es ein Wink des Himmels, dass es nicht weit von seinem Heimatort Söllingen im Pfinztal seit mehr als 40 Jahren ein Orchester gibt, das sich aus Musikenthusiasten wie ihm zusammensetzt: das in Ehren ergraute Karlsruher Seniorenorchester.

Er wäre dort sofort willkommen gewesen, weil es im Kreis passionierter Laienmusiker und ehemaliger Profis zwar Streicher und Bläser genug gab, aber keinen Pianisten, der neben solistischen Einlagen die Kollegen eingestimmt und begleitet hätte. Dafür hätte er Partituren lesen müssen und das hatte er nicht drauf, weil er ja seit je nach Gehör spielt.

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So setzte er sich kurz entschlossen an die Seite eines Klavierlehrers, dessen Aufgabe in erster Linie darin bestand, ihn mit der Nase aufs Notenblatt zu stossen, wenn er wieder mal ins Gehörte abhob. Er nahm es in Kauf, auch weil ihn sein Lehrer als Kantor und Organist der Pforzheimer Sankt Franziskuskirche in seinem Chor mitsingen liess.

Eine wunderbare Erfahrung sei Mozarts Requiem gewesen, aber die höchste musikalische Erfüllung sei es, «auf der Orgel dieser Kirche mit ihrer wundervollen Akustik zu spielen».

Inzwischen gehört Wolfgang Hansen zu den tragenden Säulen des Seniorenorchesters, in dem er als Pianist und Vorsitzender die Fäden zieht, das Repertoire erweitert und dafür sorgt, dass seine Truppe neben bewährten Stücken von Beethoven und Haydn auch mal Musical-Melodien einstreut oder gar Evergreens wie den weissen Flieder, der uns im Frühling blüht. «Kommt immer gut an», schwärmt er, «egal ob wir’s im Altersheim, in Kirchen oder im Karlsruher Schlosspark spielen.»

Damit könnte er es genug sein lassen, wenn ihm nicht ein Thema auf den Nägeln brennt, das übers private Vergnügen hinausgeht: der Klimawandel.

Als ehemaliger Anlagenbauer, kundig in chemischen und physikalischen Prozessen, setzt er sich für erneuerbare Energien ein, berät Firmen und Privatleute über Solaranlagen und Windräder und ärgert sich über Stromkonzerne wie RWE, die auf fossilen Ressourcen beharren und als alles entscheidendes Kriterium ihre Rendite sehen. 

«Es macht Menschen krank, wenn sie mit ihren Problemen allein gelassen werden. Deshalb ist es gut, dass es demenzjournal.com gibt.»

Gerald Hüther, Hirnforscher und Bestsellerautor

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Ein weites Feld, auf dem noch viel zu tun ist, wobei ihn auch die Flüchtlingsfrage umtreibt. Mit seiner Frau hat er eine syrische Familie mit vier Kindern unter die Fittiche genommen, hilft ihnen, Deutsch zu lernen, eine bezahlbare Wohnung zu finden und im Formularkrieg zu bestehen.

«Unglaublich, was die Ämter diesen Menschen an Papierkram zumuten», schimpft er. «Da hab selbst ich Probleme durchzusteigen.» Es wird nicht die einzige Familie bleiben, der er hilft. Seine Heimatgemeinde hat mit ihren 18’000 Einwohnern in den vergangenen Jahren 1800 Flüchtlinge aufgenommen «und ein neuer Schub wird kommen», vermutet er.

Fürchtet er nicht zuweilen, sich zu übernehmen? «Keine Sorge», versichert er. «Unser Mann am Fagott ist Professor für Kardiologie, der passt schon auf mich auf.»


Dieser Artikel erschien im Herbst 2019 im Mut – Magazin für Lösungen. Wir bedanken uns bei der Reaktion für die Gelegenheit zur Zweitverwertung.