Professor Weidner, reichen die Massnahmen des neuen Gesetzes aus, um den Fachkräftemangel in Deutschland in den Griff zu bekommen?
Frank Weidner: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist angereten mit dem Slogan «Wir haben verstanden» und «Wir müssen Vertrauen zurückgewinnen». Er hat noch vor der Sommerpause den Gesetzesentwurf zum Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) vorgelegt.
Professor Frank Weidner
Frank Weidner ist berufserfahrener Gesundheits- und Krankenpfleger, Berufspädagoge, Sozial- und Gesundheitswissenschaftler. Seit 2000 ist er Direktor des Deutschen Instituts für angewandte Pflegewissenschaften e.V. (dip) in Köln. Von 2006 bis 2015 war er Gründungsdekan der Pflegewissenschaftlichen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar, wo er Inhaber des Lehrstuhls Pflegewissenschaften ist.
Darin ist ein Bündel von Massnahmen zur Finanzierung und Refinanzierung neuer Pflegestellen in Krankernhäusern und Altenheimen, zur Verbesserung der Pflegeausbildung sowie zur Tarifsteigerung in der Pflege angekündigt.
Einiges davon kann die Regierung tatsächlich allein auf den Weg bringen, für andere Neuerungen, wie verstärkte Ausbildung oder höhere Tarife, ist sie auf die Unterstützung der Akteure aus dem Gesundheitswesen angewiesen.
Ich halte es für einen fundamentalen Fehler, dass die Regierung hier nicht von Vornherein die Organisationen, die Verbände und die Betroffenen ins Boot geholt hat.
Zwar hat der Minister in einer konzertierten Aktion viele Akteure miteinbezogen, allerdings steht alles recht unverbunden nebeneinander. Wir vom Dip (Deutsches Institut für angewandte Pflegewissenschaften e.V.) haben bereits im vergangenen Jahr einen Masterplan Pflege für Deutschland angeregt, in dem wir vorschlugen, dass die Akteure unter Federführung des Gesundheitsministeriums gemeinsam Massnahmen und Beiträge festlegen.
Zudem werden wir ohne spürbare Innovationen und höhere Investitionen in die Pflege die Kurve nicht bekommen. Da fehlt doch noch einiges im Programm des Ministers.
Mit der Verabschiedung der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung zum Pflegeberufgesetz geht die Pflegeausbildungsreform weiter. Ist das der richtige Weg?
Bereits seit mehr als 20 Jahren diskutieren wir in der Fachwelt die Neuausrichtung der Pflegeausbildung für die Zukunft. Vor zehn Jahren war allen Beteiligten klar, dass dies nur über eine konsequente Neuausrichtung der drei bestehenden Pflegeausbildungen (Kranken, Kinderkranken- und Altenpflege) gelingen wird.
Seither haben wir mehrfach massive Rückschläge hinnehmen müssen. Das 2017 verabschiedete Pflegeberufegesetz regelt eine zweijährige generalistische Ausbildungsphase, an die sich ein drittes Jahr anschliesst, in dem sich die Auszubildenden zwischen der Generalistik oder einem Schwerpunkt in der Kinderkranken- oder Altenpflege entscheiden müssen.
Diese fortgesetzte Fragmentierung der Pflegeberufe dient dabei eher den Arbeitgeberinteressen als dass sie der Pflege oder den Menschen dienen würde.
Die Anforderungen an das dritte Ausbildungsjahr «Altenpflege» wurden heruntergeschraubt und damit gegenüber den beiden anderen Ausbildungswegen degradiert. Das zeigt abermals, wie schwer sich Politik und Gesellschaft mit einer grundlegenden Modernisierung und Aufwertung der Pflege tun.
Der Abbau von Pflegestellen soll zukünftig auch über Massnahmen der Personalbemessung bzw. Personaluntergrenzen gelingen. Wie beurteilen Sie diesen Ansatz?
Das Dip hat in Studien darauf hingewiesen, dass beispielsweise die Krankenhausumbauten der letzten 20 Jahre massiv zu Lasten der Pflege gegangen sind. Die Politik hat mehrfach reagiert, doch meist nur mit geringem Erfolg.
Inzwischen ist der Versuch der Deutschen Krankenhausgesellschaft und des GKV Spitzenverbandes, Untergrenzen für das Pflegepersonal festzusetzen, gescheitert.
Das Kabinett hat nun den Entwurf zum PpSG verabschiedet und somit zugestimmt, dass bis 2020 verbindliche Pflegepersonalquotienten aus dem Verhältnis von Pflegepersonal zu Pflegeaufwand eingeführt werden sollen.
Auf der Grundlage von Ist-Daten sollen vom Gesundheitsministerium per Verordnung entsprechende Untergrenzen festgelegt werden.
Auch für die stationäre Altenpflege werden derzeit bereits auf der Grundlage des § 113c SGB XI Verfahren zur Personalbemessung entwickelt, die bis 2020 vorliegen sollen. Ich bin allerdings skeptisch, ob diese Ziele erreicht werden können.
Ein fundamentales Problem ist dabei, dass es in Deutschland für solche Megavorhaben einfach nicht genügend Vorkenntnisse zum Zusammenhang von Pflegepersonalkapazität und Versorgungsqualität gibt, auf die man aufbauen könnte.
In der Selbstverwaltung ist die Pflege bislang eher ein Zaungast. Wie ist da die derzeit laufende Verkammerung der Pflege einzuschätzen?
Dies scheint mir das eigentliche Kernproblem bei der Weiterentwicklung der Pflege zu sein. Die Berufsgruppe selbst ist weitgehend organisations- und machtlos. Sie muss die unsinnigsten Interventionen von aussen – wie etwa das Pflegeberufegesetz – einfach hinnehmen und kann dem nichts Wirkungsvolles entgegensetzen.
Die Pflegepädagogin Anne Kellner hat das auf der Grundlage der Ansätze von Michel Foucault untersucht und dabei auf den widersprüchlichen Zusammenhang von ausgeprägter Selbstlosigkeit und fehlender Selbstsorge unter den beruflich Pflegenden hingewiesen.
Damit einher geht das offensichtliche Missverständnis, dass Fürsorge im Kern auf Selbstlosigkeit gründet.
Dem muss widersprochen werden: Fürsorgekompetenz gründet auf Selbstsorgekompetenz! Diesem Prinzip folgt im Grunde auch die Pflegekammer-Bewegung, die sich in den Bundesländern langsam aber sicher durchsetzt.
In Rheinland-Pfalz haben wir gemeinsam die erste Landespflegekammer errichtet, andere Bundesländer folgen oder stehen in den Startlöchern. Auf Bundesebene gibt es einen vielversprechenden Ansatz einer Bundespflegekammer.
Man mag Heilberufskammern als Relikte der Vergangenheit betrachten, für die Pflege sind sie eine riesige Chance, sich in der Selbstverwaltung zu vergewissern und zu stärken.