Marc sieht Menschen in den Wänden - demenzjournal.com
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Wolkenfische (9)

Marc sieht Menschen in den Wänden

Gesichter in den Wänden

Eine Medikamentenumstellung im Heim führt dazu, dass Marc Halluzinationen hat. Symbolbild Dalle

Seit Marc im Heim ist, geht es ihm schlechter: Halluzinationen, schlechte Mundhygiene, mehr Gewicht. Ich dagegen kann wieder schlafen, was wegen Marcs demenzbedingten Unruhe nicht möglich war. Trotzdem: Wäre es mit mehr Unterstützung nicht doch länger zuhause gegangen?

Im Sommer schrieb ich eine Mail an den Gerontopsychiater und die Hausärztin: »Gestern im Pflegeheim habe ich erfahren, dass Sie ein neues Medikament verschrieben haben, und anscheinend hat Marc nun ruhigere Nächte.

Weshalb konnte dieses Medikament nicht schon gegeben werden, als er noch zuhause war, und ich an den Rand meiner Kräfte geriet, weil ich wegen seiner Unruhe nicht mehr schlafen konnte?

Weshalb werden regelmäßige Untersuchungen und Gespräche über den Patienten erst im Heim gewährleistet? Auch eine pflegerische Unterstützung zuhause wird von den einzelnen Institutionen auf ein Minimum beschränkt (zwei Mal pro Woche einen halben Tag Entlastungsdienst – höchstens!).

Wolkenfische

Dieser Blog handelt von der Alzheimer-Krankheit meines Mannes. Er handelt von Veränderung und Hader, aber auch von Nähe und dem Erkennen, dass die Krise, in die wir gestürzt wurden, uns auf einen Weg bringt, den wir als wahr empfinden.
– Susanna Erlanger

Die Angehörigen müssen sich die Hilfe bei den unterschiedlichen Institutionen mit einem großen Aufwand zusammensuchen.

Diese verschiedenen Stellen, die sich mit den Problemen des Alters beschäftigen, sind weder koordiniert, noch arbeiten sie zusammen. Und ich als Angehörige musste schauen, wie ich irgendwie zu Hilfe kam, von der ich den Eindruck habe, das sie mir nur fürs Nötigste gegeben wurde.

Die private Pflege wird im Vergleich zur institutionellen Pflege so marginal unterstützt, dass sie scheitern muss. Ich möchte Marc zuhause pflegen. Was können Sie mir anbieten, damit dies möglich ist?«

Der Gerontopsychiater antwortete:

Die Betreuung und Pflege stellt bei Demenzbetroffenen eine große Herausforderung dar. Gerne unterstütze ich Sie in Ihrem Vorhaben, Ihren Mann zuhause zu pflegen. Ich kann Ihnen einen Termin in der Klinik anbieten. Dann können wir schauen, was möglich ist.

Die Hausärztin antwortete:

Ich akzeptiere Ihren Vorwurf, aber ich habe mit dem Gerontopsychiater bereits gesprochen, er hatte damals klar andere Empfehlungen gegeben. Wir haben uns an diese gehalten.

Ich schreibe zurück, dass es mich verletzt habe, wie schnell im Heim eine Lösung für Marcs Unruhe gesucht und gefunden wurde, während ich mich wochenlang mit seiner Schlaflosigkeit herumplagen musste. Und vor allem: dass ich ihn deswegen weggeben musste!

Nächsten Montag treffe ich den Gerontopsychiater. Dann sehen wir hoffentlich weiter.

Fluchtgedanken

Am Nachmittag sitzt du auf einem der Sofas und tanzt mit den Händen zur Radiomusik.

»Komm«, sagst du: »Wir gehen hier fort und laufen nach Hause. Oder traust du dich etwa nicht?« Du zeigst mir im Garten die Stelle, an der du versucht hast, über den Metallzaun zu klettern und zu fliehen. Du hast einen Plan, für den du mich ins Vertrauen ziehst, – mich, die dich hier zurücklässt. Du bist seit neunzehn Tagen im Pflegeheim.

Ich schreibe an meine Freundin C.: »Marc ist jetzt seit fast drei Wochen im Pflegeheim, und ich leide sehr unter dieser Trennung. Vor allem auch, weil wir so im Stich gelassen worden sind von den Ärzten und Institutionen, als er noch zuhause war. Es musste so kommen, man hatte es uns ja vorausgesagt – und erst etwas verändert, als er dann im Heim war (Medikation, Kontinuität, Setting). Ich muss aufpassen, dass ich nicht verbittere darüber.

Marc hat sich bereits am Neuen orientiert, sodass ich ihn nicht mehr herausreißen kann – um dann wieder allein mit der Situation fertig werden zu müssen und an den Rand meiner Kräfte zu kommen.«

C. schreibt zurück:

Ich kann mir vorstellen, wie schlimm die Trennung ist. Marc ist solch ein liebenswürdiger Mensch, der nur das Allerbeste verdient hat. Ich wünsche Dir so sehr jemanden, der Dir in dieser belastenden Zeit eine Stütze sein kann.

Weil ich dich im Heim zurücklasse und nicht mit nach hause nehme, misstraust du nun meiner Liebe. Meine Entgegnung auf deine Vorwürfe tröstet dich nur im Moment: »Nicht ich will, dass wir getrennt sind, der Himmel will es …«

Lies die Geschichte von Susanna und Marc!

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Das Schicksal ist schuld

Mail von J.:

Der Besuch gestern bei Marc zusammen mit Dir hat mich sehr bewegt. Eure Nähe und gleichzeitig die Notwendigkeit der Trennung wahrzunehmen, hat mir nochmals verdeutlicht, mit wieviel Leid und Schmerz dieser ganzen Prozess besetzt ist. Ich finde es stimmig, wenn Du ihm versuchst zu erklären, dass das Schicksal verantwortlich sei für diesen notwendigen Weg der (äußeren) Trennung. Damit seid Ihr beide entlastet, und das ist sehr wichtig, denn niemand von Euch ist schuld!

Ich werde Euch weiter zur Seite stehen, so, wie es mir möglich ist, auch wenn ich mich gestern – wie häufig früher bei meiner Tätigkeit als Pfarrer im Altersheim – hilflos und ohnmächtig fühlte. Aber vielleicht hat die Ohnmacht ihren eigenen Wert in dieser machtbesessenen Welt.

Ich schreibe zurück, dass ich der Ohnmacht mit dem Annehmen des Schlimmen und der Trauer darüber begegnen will. »Alls, was gschiet, isch guet« – diesen Satz hat Marc früher viel gebraucht, wenn das Schicksal gegen unsere Pläne uns einen anderen Weg einschlagen ließ. Deshalb benutze auch ich diesen Satz: »Alls, was gschiet, isch guet.«

Ich schreibe dir in eine Kladde Versatzstücke von Botschaften, Fragmente von Liebesschwüren, auf jede Seite ein Wort, einen Satz, den man dir vorlesen kann, der sich dir vielleicht noch der Spur nach entziffert.

Menschen in den Wänden

Ich besuche meinen Mann im Heim und schreibe gleich darauf an den Gerontopsychiater:

»Marc halluzinierte fast die ganzen anderthalb Stunden, die ich bei ihm verbrachte. Er sah Menschen in Wänden, und in der Erde sah er das Zuhause. Wenn er sprach, schloss er die Augen. Allgemein machte er auf mich den Eindruck, um Jahre gealtert zu sein. Muss Marc nun zusätzlich zur erhöhten Dosis Trazodon ein anderes Medikament einnehmen, das eventuell die Halluzinationen hervorruft?

Er sprach auch auffällig viel über Angst und Nicht-Angst.

Außerdem hat er zum ersten Mal eingenässt, bevor er die Toilette erreichte, wie mir die Stationsleiterin erzählte.

In diesen vier Wochen Pflegeheim hat sich sein Zustand massiv verschlechtert, und er hat extrem zugenommen. Darauf angesprochen, antwortete die Leiterin der Tagesstruktur mit »gutem Appetit«. Mein Mann hat aber schon seit einiger Zeit kein Sättigungsgefühl mehr. Außerdem hat er Altersdiabetes. Deshalb dürfte er auf keinen Fall so viele Süßigkeiten essen, wie sie angeboten werden. Ich möchte Sie bitten, ob Sie ihm Diabeteskost verschreiben könnten.

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Zudem roch mein Mann stark aus dem Mund. Ich habe ihm Zahnpasta und Zahnbürste mitgebracht (die Tagesstruktur führt so etwas nicht). Mein Mann hat praktisch noch alle seine Zähne, und ich möchte nicht, dass diese leiden. Das Heim hat die Verantwortung, dass die Zähne gepflegt sind; die letzte Zahnbehandlung war für Marc eine beängstigende Tortur. Er hatte sich heftig gewehrt, sodass sie abgebrochen werden musste.

So wie das Heim die Verantwortung für Marcs Gesundheit zum Teil nicht übernimmt, fällt es mir schwer, Vertrauen zu fassen.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich mit der Pflegeleitung in Verbindung setzen könnten, damit die Diabeteskost angeordnet werden kann. Vor allem wäre ich froh, wenn ich wüsste, weshalb sich sein Zustand so verschlimmert hat.«

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Postwendend erhalte ich Antwort. Der Gerontopsychiater hat mit der Stationsleitung telefoniert. Halluzinationen seien der Pflege keine aufgefallen, doch sie würde nun verstärkt darauf achten. Marc schliefe besser, ein weiteres Medikament zur Nacht sei abgesetzt worden. Der Gerontopsychiater verordnet ein BZ-Tagesprofil und eine Gewichtsmessung, um Blutzucker und Gewicht zu prüfen. Zähneputzen: wird nun in der Tagesstruktur umgesetzt. Ich danke dem Gerontopsychiater dafür, dass er so rasch reagiert hat.

Im Rückblick sehe ich, dass du dich im Heim endlich entspannen konntest.

Du musstest dich nicht mehr für mich oder den Anspruch an eine ‚Normalität‘ zusammenreißen. Du konntest dich gehen lassen und so dement und so hinfällig sein, wie du wirklich warst. Das hat sich bestätigt, weil der Schmerz an deinem Bein und dein nervöses Nägelreißen nach einigen Tagen verschwunden waren.

(Fortsetzung folgt.)