Pflegearbeit muss entlohnt sein - demenzjournal.com
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Wolkenfische (5)

Pflegearbeit ist auch Arbeit!

Ein älteres Ehepaar im Wohnzimmer

Paul ist durch die Demenz anhänglich geworden. Susanna ist das oft zu viel. Symbolbild DALLE

Für die Pflege meines demenzkranken Mannes habe ich mein Pensum reduziert, obwohl mir das finanziell schadet. Doch auch so geht es nicht mehr lange. Ich schwanke zwischen Trauer und Dankbarkeit für die Zeit, die wir noch miteinander verbringen.

»Lass mich jetzt allein!«, sage ich, wenn ich deine Anhänglichkeit nicht mehr ertrage. »Setz dich dort drüben aufs Sofa!« Ich verteidige unser Leben gegen die Veränderung und verändere mich selbst in einen Menschen, der ich nicht sein will.

Ich will allein sein, obwohl ich es längst bin, und lasse dich damit allein. Dich, der Halt sucht, der sich an mich klammert, der mich mit leeren Augen anfleht, den ich nicht loslassen darf, und der sich hinter eine Mauer von Floskeln rettet, von wo aus er versucht, mich mit den immergleichen Beschwörungen herbeizurufen:

»Ohne dich würde ich längst nicht mehr leben«, sagst du. »Du bist das Wichtigste für mich.«

Und wahrscheinlich ist das die Wahrheit.

Ich will Respekt für meine Pflegearbeit

Ich schreibe der Präsidentin: »Unser Gespräch beschäftigt mich immer noch sehr. Vor allem der Punkt mit der ‹Toleranz›, wie Sie sagen, die ich mir wünschte. Dieser Satz hängt mir nach.

Es ist nicht Toleranz, es ist Respekt vor den Gründen für eine Arbeitsreduktion, den ich mir wünsche. Es geht mir nicht ums Tolerieren, sondern ums Erkennen, dass jede Frau, die nur im Teilpensum arbeiten kann, zwingende Gründe hat, weshalb sie nicht voll arbeitet.

Diese Gründe liegen im anderen Teil ihres Arbeitslebens, häufig im privaten Teil, der ein ebenso schweres Gewicht in ihrer Biografie hat wie die Arbeit außer Haus. Es geht um den Respekt, diesen Teil zu würdigen. Ich denke, Sie wissen, wovon ich rede, da Sie selbst in einer ähnlichen Situation sind wie ich.

Wir, die wir im Teilpensum arbeiten, haben dies bewusst entschieden, nicht weil wir ‹weniger› arbeiten wollen, sondern weil es notwendig ist.

Dieser Teil gehört dem ‹privaten› Teil. Und darüber kann man nicht geteilter Meinung sein, außer man respektiert die Arbeit nicht, die Frauen außerhalb der sogenannten Berufsarbeit verrichten.

Zusätzlich möchte ich noch zu bedenken geben, dass Frauen mit – auch größeren – Teilpensen in diesem Berufszweig voll und ganz aus der anteilsmäßigen Altersentlastung fallen und somit ebenfalls keinen Respekt erfahren für die Gründe ihrer Arbeitsreduktion.

Blog Wolkenfische

Dieser Blog handelt von der Alzheimer-Krankheit meines Mannes. Er handelt von Veränderung und Hader, aber auch von Nähe und dem Erkennen, dass die Krise, in die wir gestürzt wurden, uns auf einen Weg bringt, den wir als wahr empfinden.
– Susanna Erlanger

Und die Frauen nehmen dies ohne Murren hin, weil sie Wege für sich finden müssen, wie sie im Stillen sich Freiräume schaffen können. Es ist die typisch weibliche Art, auf eigene Kosten zu kommen, ohne sich Konflikten stellen zu müssen, mit dem Preis der materiellen Benachteiligung.

Ich möchte mein Problem nicht so lösen! Es hat etwas Unwürdiges, Verstecktes, als ob man etwas Verbotenes täte. Daher wende ich mich offen an Sie: bereit zur Diskussion.

Und ich bitte Sie, das Wort ‹Toleranz› durch ‹Respekt› in Ihrem Beobachtungsprotokoll zu ersetzen. Sie können dies formlos machen, ohne dass das Protokoll neu geschrieben werden muss.«

Im Pinienwind
verwehst du
die Zeit erwartend
da du mein Blut frisst.

Wo bist du –
Ruf, ohne Echo.
Und was ist das Nächste
das so schwer ist
dass ich es tragen muss?

Antwort der Präsidentin:

»Ich verstehe Ihr Anliegen und werde das Wort ‹Toleranz› durch ‹Respekt› im Besuchsprotokoll ändern. Alle haben noch ein Leben neben dem Beruf, in welchem sie sich ganz verschieden engagieren. Die eine Aufgabe mit der anderen zu vergleichen, versuche ich erst gar nicht. Auch sind wir alle einmal jung und voller Tatendrang gewesen, haben Gesundheit und dergleichen für selbstverständlich genommen und waren dementsprechend unerfahren oder respektlos, was das Leben Belastendes mit sich bringen kann.«

Die Geschichte von Susanna und Marc Erlanger

Demenz und Sinnhaftigkeit

»Alles, was geschieht, ist gut«

2013 zeigen sich erste Symptome. Doch Marc will davon nichts wissen. Seine Frau Susanna, Dichterin und Verlegerin, pflegt ihn zuhause, bis es nicht … weiterlesen

Lieber sterben als warten

Auf der Rückreise aus unseren letzten gemeinsamen Wochen am Meer öffnet sich mir ein Fenster des Himmels: Die Rezeptionistin im Hotel beim Flughafen fragt, ob sie Englisch oder Griechisch sprechen solle. Und du, beim Weggehen: »Si vouz avez une fois de la chance, venez à Citère.« – Französisch.

Ich dachte, Fremdsprachen seien dir für immer verloren. Doch das Französisch deiner frühen Kindheit taucht auf wie ein Geschenk.

Und ich bin stolz auf dich, mein Mann: so spontan und lebendig, so charmant und rührend – und sehr elegant!

Wenige Wochen. Du leidest seit Tagen, haderst, zitterst. Du sagst, du habest Angst, und es sei kompliziert. Du sagst: ‹Wenn es nur noch ein Warten ist, möchte ich lieber sterben.› – ‹Worauf wartest du?›, frage ich. – ‹Ich warte darauf, wieder gesund zu werden.›

Marc braucht ständig Hilfe

Mail an die Hausärztin:

»Marcs Schmerz am Bein ist auf dem Weg nach Hause wieder in Wellen aufgetreten. Wenn er mir einhängen oder die Hand geben kann, geht der Schmerz kurzzeitig weg, kommt aber nach etwa fünfzig Metern wieder zurück. Marc reibt sich am Schienbein. Nach kurzem Warten ist der Schmerz wieder weg und kommt dann wieder, usw.

Nun liegt er auf dem Bett, seufzt und reibt sich das Schienbein. Wenn ich ihn ablenke, ‹vergisst› er den Schmerz. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit dieser Beschreibung einigermaßen ein Bild des Phänomens geben kann.«

«demenzjournal.com hilft Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen mit Wissen und Verständnis. Das schafft positive Lebensimpulse.»

Kurt Aeschbacher, Moderator und Verleger

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Mail an B.:

»Ich danke Dir für Deine lieben und besorgten Worte. Ja, es ist im Moment eine schwierige Zeit. Wir haben am Freitag vom Gerontopsychiater erfahren, dass Marc wahrscheinlich an einer Form der Alzheimerkrankheit leidet.

Ich bin schon länger am Trauern und trotzdem dankbar für die guten Jahre, die wir hatten und immer noch haben.

Wir waren fünf Wochen auf der Insel, zusammen mit einem Freund, der uns sehr unterstützt und begleitet hat. In dieser Zeit mussten wir erleben, dass wir Marc nicht mehr für längere Zeit allein lassen konnten.

Er braucht nun ständig Hilfe, sodass er zukünftig die zwei oder drei Tage, die ich arbeite, im Altersheim begleitet werden muss. Auch deshalb werde ich mein Pensum ab nächstes Frühjahr verkleinern.«

(Fortsetzung folgt.)


Wir bedanken uns herzlich bei Susanna Erlanger, dass sie uns in vertrauensvoller Weise ihre Zwiesprache mit ihrem Mann Marc zur Verfügung stellt.