Verloren im Spital – Lilos Albtraum in der Notaufnahme
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In der Klinik

Lilos Albtraum auf der Notaufnahme

Liselotte Klotz 2

Lilo Klotz ist mittlerweile wieder auf den Beinen. Aber von der Zeit in der Klinik hat sie noch immer schlechte Träume. Bild privat

»Niemand interessierte sich für meine Demenz. Ich war kein Mensch, sondern ein Problem«: So beschreibt Lilo Klotz ihre Aufenthalte im Spital. Sie erzählte uns eine unglaubliche Geschichte von inkompetenten und ignoranten Ärzten und Pflegenden.

Mein Name ist Lilo, und ich lebe seit 2017 mit Lewy-Body-Demenz. Ich weiß, dass mein Kopf nicht mehr so funktioniert wie früher, dass ich manchmal den Faden verliere, mich in der Zeit verirre, Halluzinationen habe. Ich brauche einen Rollator, um sicher zu gehen. Aber was mir im Sommer 2023 im Krankenhaus passiert ist, hatte nichts mit meiner Krankheit zu tun – sondern damit, dass Menschen wie ich dort nicht vorgesehen sind.

Es begann mit Schmerzen. Erst nur ein Ziehen, dann ein Brennen, schließlich wurde es so schlimm, dass ich nicht mehr wusste, wohin mit mir. Ich fror und schwitzte gleichzeitig, mein Körper zitterte, mein Kopf fühlte sich wie Watte an. Fieber. Schüttelfrost. Schmerzen, die mich auffraßen. Meine Tochter redete auf mich ein: »Mama, du musst ins Krankenhaus!« Ich hörte die Worte, aber sie ergaben keinen Sinn. Warum? War es wirklich so schlimm? Was würde mit mir passieren?

Mein Urologe, der mich kannte, sah sofort den Ernst der Lage. Akuter Notfall: Nierenstau. Der Rettungswagen wurde gerufen. Die Fahrt verschwimmt in meiner Erinnerung. Blaulicht. Stimmen. Kälte. Und dann war ich in der Notaufnahme – ein Ort, der mich nicht verstand.

Eine Welt, die mich nicht sieht

Es war laut. Hektisch. Ich lag auf einer Bahre, fremde Gesichter beugten sich über mich. Sie redeten – zu schnell, zu viele Fragen auf einmal. Mein Körper tat weh, mein Kopf war zu müde, um zu verstehen. Ich musste mich übergeben.

»Haben Sie Schmerzen?«

»Seit wann geht das so?«

»Nehmen Sie Medikamente?«

Ich wollte antworten, aber die Worte entglitten mir. Ich suchte nach ihnen, aber sie waren weg. Mein Mund fühlte sich schwer an, mein Kopf war wie in Nebel gehüllt. Ich hatte Angst.

Die Ärztin seufzte genervt. »Sie müssen mitarbeiten, sonst können wir Ihnen nicht helfen.«

Ich spürte, wie Panik in mir aufstieg. »Ich will nach Hause!« Ich verstand nicht, was mit mir geschah. Mein Herz raste. Eine Schwester kam mit einer Nadel auf mich zu. Ich zuckte zurück, erschrak. Warum wollte sie mir wehtun?

»Nicht so zappeln!« sagte sie streng. Ich hörte, wie jemand etwas sagte und dann etwas in meine Akte schrieb. »Patientin unkooperativ.«

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Dann kam ein Arzt, legte einen Katheter und sagte mir, dass ich operiert werden müsse. Aber warum? Ich verstand es nicht. Ich versuchte zu fragen, aber ihre Antworten waren wie Wasser, das mir durch die Finger rann. Dann schoben sie mich in einen anderen Raum. Helles Licht. Stimmen, die sich entfernten. Ein Piepsen. Angst.

»Sie schlafen jetzt ein.«

Nein! Ich will nicht! Ich wollte festhalten, wissen, was mit mir passiert. Doch meine Augen fielen zu.

Das Erwachen: verloren und allein

Als ich wieder aufwachte, war alles fremd. Mein Mund war trocken, mein Körper schwer. Ich wollte mich bewegen, aber überall waren Schläuche. Ein Piepen. Stimmen über meinem Kopf.

Wo bin ich? Was ist passiert? Warum kann ich mich nicht erinnern?

Ich sah Menschen um mich herum, aber sie sahen mich nicht. Ich versuchte, etwas zu sagen, aber meine Stimme war zu schwach. Eine Krankenschwester kam und sagte: »Frau Klotz, alles gut.«

Nein. Nichts war gut.

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Ich war allein. Ich war orientierungslos. Ich hatte Angst.

Dann endlich ein vertrautes Gesicht – meine Tochter. »Mama, wo ist deine Brille?« Ich griff an mein Gesicht. Nichts. Meine Brille war weg.

»Sie finden es bestimmt wieder«, sagte eine Schwester beiläufig. Aber sie fanden sie nicht.

Nach zwei Tagen wurde ich entlassen, obwohl es mir nicht gut ging. Ich hatte weiterhin Blut im Urin, Schmerzen. Die Ärzte sagten, das sei normal und schickten mich nach Hause.

Es war Freitag. Ich hatte eine Harnleiterschiene bekommen, die in 14 Tagen entfernt werden sollte. Mein Hausarzt hatte schon geschlossen. Schmerzmittel hatte ich keine. Es würde schon gut gehen, dachte ich.

Zurück in die Hölle – zweiter Krankenhausaufenthalt

Samstag und Sonntag verbrachte ich geschwächt im Bett, konnte nichts essen. Ich war todmüde. Erschöpft. Dann kam das Fieber zurück. In der Nacht wurden die Schmerzen unerträglich.

Am Montag brachte mich mein Sohn zum Urologen. Er war entsetzt. Wieder wurde ein Notarzt gerufen, wieder kam ich ins Krankenhaus.

Wieder Notaufnahme.

Wieder Ärzte, die nicht empathisch waren.

Wieder stellte niemand die richtigen Fragen.

Sie legten keinen Katheter. Sie untersuchten mich nicht richtig. Ich wurde aufgenommen und lag vier Tage in einer Ecke eines Krankenzimmers. Blut im Urin. Fieber. Schmerzen.

Eine Krankenschwester sagte zu einer Kollegin: »Um die brauchst du dich nicht zu kümmern.« Und zeigte auf mich. »Die hat Demenz.«

Viermal zurück, viermal dasselbe Trauma

Ich wurde entlassen. Mir ging es nicht besser. Wieder hohes Fieber. Wieder Schmerzen. Am Montag dann wieder mein Urologe. Wieder Rettungswagen. Wieder Krankenhaus. Die erste OP war nicht erfolgreich gewesen. Viermal dieses Hin und Her. Viermal der gleiche Horror. Bis endlich jemand erkannte, dass ich eine massive Infektion hatte, auch die Harnleiterschiene war mit betroffen.

Antibiotika-Infusionen über Tage. Langsam wurde es besser. Eine neue Harnleiterschiene musste gelegt werden. Aber die emotionalen und seelischen Wunden, die mir dieses Krankenhaus zugefügt hat, sind tief.

Was ich erlebt habe, passiert jeden Tag. Es muss sich etwas ändern! Viermal hat es niemand interessiert, dass ich Lewy-Body-Demenz habe. Viermal wurde ich angeschrien, weil ich nicht schnell genug antwortete, weil ich Medikamente erhielt, die mich noch verwirrter machten. Ich war kein Mensch, nur ein Problem.

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Beim dritten Mal sagten sie zu meiner Tochter: »Vielleicht kann sie nicht mehr allein leben.« Ich hörte es. Und mein Herz brach. Ich war nicht unfähig. Ich war nur in einer Welt, die mich nicht verstehen wollte und mich nicht sehen und hören wollte.

Erst beim vierten Aufenthalt kam ein Arzt, der sich meine Akte genau ansah. Der endlich verstand, dass ich nur anders behandelt werden musste. Aber da war es fast zu spät. Vier furchtbare Wochen im Krankenhaus.  Mein Fazit: Krankenhäuser müssen sich ändern! Was mit mir passiert ist, passiert jeden Tag Menschen mit Demenz.

Wir werden nicht verstanden.

Wir werden ignoriert.

Wir  werden als »schwierig« abgestempelt.

Aber wir sind nicht schwierig! Wir brauchen nur Zeit. Aufmerksamkeit. Menschen, die uns wirklich sehen und uns in Ruhe zuhören. Wir passen nicht in das heutige System »Krankenhaus«.

Ich bin nach Hause gekommen. Aber ein Teil von mir ist dort geblieben – in den kalten Fluren dieses Krankenhauses, in den grellen Lichtern der OP, in den Blicken, die mich nicht sahen. Ich wünsche mir eine Zukunft, in der niemand mehr so behandelt wird wie ich in diesen vier Wochen (aufgezeichnet von Felicitas Witte)

Lilo Klotz: »lieben, leben, lächeln«

Lilo Klotz