Ich möchte heute über zwei Sätze schreiben, die ich im Zusammenhang mit Demenz häufig höre. Ich bin ziemlich sicher, die meisten Leser kennen beide. Der erste Satz, den ich immer wieder höre, sehe und lese ist: «Menschen mit Demenz sind wie Kinder.»
Ich mag diesen Satz nicht. Auf den ersten Blick wirkt er nicht ganz falsch. Menschen mit demenzieller Veränderung werden irgendwann so abhängig, wie es ein Kind ist. Aber trotzdem sind sie nicht gleich. Ein Kind besitzt die Fähigkeit, sich anzuziehen, die Ausscheidung zu kontrollieren, sich zu orientieren noch nicht. Ein Mensch mit Demenz verliert diese Fähigkeiten zunehmend.

Ich finde, das ist ein sehr wichtiger Unterschied. Denn genau dieser Unterschied, macht es für die Angehörigen so schwer, dies mitanzusehen. Genau dieser Unterschied erklärt die Wut, die manchmal so ungebremst aus den Menschen mit demenzieller Veränderung herausbricht, wenn wir Pflegenden oder die Angehörigen doch nur helfen wollen.
Der elementarste Unterschied zwischen Kindern und Menschen mit Demenz ist für mich jedoch: Ein Kind hat sein Leben noch vor sich und ist erst dabei seine eigene Persönlichkeit zu entwickeln.
In meiner Arbeit als Pflegefachperson habe ich unzählige Erfahrungen mit Menschen mit Demenz gemacht. Die Begegnungen sind mir gut in Erinnerung geblieben. Menschen mit Demenz waren für mich sehr gute Lehrerinnen und Lehrer. An einem konkreten Beispiel möchte ich Ihnen zeigen, warum ich der Meinung bin, dass die Persönlichkeit eines Menschen bis zum Schluss, auch bis zum Endstadium der demenziellen Veränderung, entscheidend ist:
Ein Mensch mit Demenz hat eine Lebensgeschichte und eine eigene Persönlichkeit.
Im Pflegeheim, in dem ich sieben als Pflegefachfrau gearbeitet habe, gab es eine Frau mit Demenz. Diese Frau war zeitlebens ledig und – ganz wichtig zu wissen: Lehrerin. Sie hatte in einem Dorf in der Nähe von Zürich ihr Amt mit Herzblut ausgefüllt. Ihre Angehörigen (Nichten und Neffen) sagten uns, dass sie als sehr streng, aber gerecht galt.
Sie mochte es überhaupt nicht, wenn jemand nicht «schön» sprach. Jetzt war diese Frau also bei uns im Pflegeheim, wohlverstanden, im Kanton Bern. Etwas musste jede Pflegende wissen: Wollte man diese Frau dazu bringen, sich hinzusetzen, durfte man sie keinesfalls auffordern «abzhocke». Dies ist ein anderer Ausdruck für absitzen, der im Berndeutsch durchaus salonfähig ist.
Nicht so bei dieser Dame. Sie sah einem jeweils mit ihrem durchdringenden Blick an, dass es einem beinahe die Schuhe auszog und schimpfte: «Hocken tut man im Knast!» Sie war nach diesem Fauxpass nicht mehr dazu zu bringen, sich zu setzen.