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Madame Malevizia

Den Druck dort ausüben, wo er hingehört

«Die meisten Pflegenden machen es wie der Krug, der zum Brunnen geht, bis er bricht», schreibt die Pflegehexe. Bild Eve Kohler

Das Sparen im Gesundheitswesen wird meist auf dem Buckel der Pflegenden vollzogen – und damit auch zum Leidwesen der Patientinnen und Patienten. Die Pflegenden sollten aufhören, zu allem ja zu sagen. Und sie sollten dafür sorgen, dass der Druck dorthin kommt, wo er hingehört: in die Politik.

Seit ich in der Pflege arbeite, beobachte ich ein Phänomen: Der Druck wird von oben nach unten weitergereicht. Die Führung einer Institution beschliesst aus diversen nachvollziehbaren und manchmal auch nicht nachvollziehbaren Gründen, Kosten zu sparen.

Die Konsequenz ist immer die gleiche: Es wird am Personal und damit auch (oder nur) in der Pflege gespart. In der Öffentlichkeit wird dieser Schritt garniert mit Sätzen wie: «Die Pflegequalität wird aufrechterhalten». Spätestens da werde ich ein erstes Mal hellhörig. Übersetzt heisst das doch: «Bisher hat sich die Pflege zu wenig angestrengt.»

Wenn es um einen Stellenabbau geht, werden meist frei werdende Stellen nicht mehr besetzt. Der Druck wächst schleichend.

Dabei kommt es sehr darauf an, welche Pflegedienstleitung der Betrieb hat. Ist sie eher nach oben orientiert und trägt diesen Abbau einfach widerspruchslos mit, wird sie den Druck ungefiltert nach «unten» und somit an die Basis weitergeben.

Häufig sind sich die Pflegedienstleitungen zwar bewusst, dass das früher oder später ins Auge gehen wird, haben aber keine Idee und keinen Mut, die Situation zu entschärfen. Diese Hilflosigkeit, die bis zur Überforderung gehen kann, sind zu erkennen an Sätzen wie «Ich kann die Mitarbeiter auch nicht zeichnen», am  Ignorieren des Problems oder an den Vorwürfen an Pflegende, die wegen Krankheit ausfallen.

In einer solchen Situation ist die Spreu vom Weizen unter den Pflegedienstleitungen leicht auszumachen. Ich habe bisher leider mehr Spreu als Weizen gesehen.

So kommt es, dass der Druck ungefiltert die Pflegenden an der Basis trifft.

Und genau in diesem Moment wird die Basis zur Front. Ein Ausnahmezustand entsteht. Was vorher vielleicht noch zu schaffen war, nämlich eine  menschenwürdige Pflege, wird unmöglich. Und was tun die Pflegenden? Aufbegehren?

Ja, einige wenige vielleicht. Die meisten machen es wie der Krug, der zum Brunnen geht, bis er bricht. Dieses Brechen kann sich unterschiedlich zeigen. Die einen verlassen das Schlachtfeld früh und hoffen, an einem anderen Ort auf bessere Bedingungen zu treffen.

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Madame Malevizia

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Meist ein Trugschluss, denn in der ganzen Schweiz müssen die Gesundheitsinstitutionen rentieren. Und schon bald stehen sie wieder an der Front, anstatt am Krankenbett. Jene, die verwundet wurden, verlassen manchmal gerade noch rechtzeitig das Schlachtfeld endgültig und kehren dem Beruf, den sie einmal so geliebt haben, frustriert und desillusioniert den Rücken.

Und es gibt die Opfer, oder auch die Krüge, die brechen. Es sind jene Pflegenden, die ausbrennen, manchmal auch ganz still und leise auslaugen. Mein Herz blutet um jeden dieser Menschen, die alles geben und spüren, dass es nie genug ist. Sie sind nicht daran schuld, dass es ihnen so geht. Die Verantwortung dafür tragen andere.

Ich schreibe diesen Blog aus zwei Gründen:

Erstens will ich, dass die Öffentlichkeit weiss, was in der Pflegewelt abgeht.

Zweitens will ich, dass wir Pflegenden aus diesem «Spiel» aussteigen.

Daher rufe ich alle Pflegenden auf: Gebt euren Beruf und eure Arbeitsstellen nicht kampflos auf! Hört auf, immer «ja» zu sagen. Unser Tag hat 24 Stunden, ein Arbeitstag 8 bis 9 Stunden. Was ihr in dieser Zeit bewältigen könnt, macht. Der Rest bleibt liegen. Wir alle haben in der Ausbildung und im Berufsleben gelernt, Prioritäten zu setzen. Und genau das müssen wir jetzt tun.

Ich sehe euch schon die Hände über dem Kopf zusammenschlagen: «Das geht doch nicht, die armen Patienten, Bewohner und Klienten!» Wisst ihr was? Ihr tut das auch für sie. Ich meine nicht, dass ihr Dinge (in den meisten Fällen wird es die Körperpflege sein) einfach stillschweigend nicht machen sollt.

Nein, ihr sollt sie laut und sichtbar nicht machen. Dokumentiert in den Pflegedokumentationen, was ihr nicht tun konntet, weil die Kapazität dazu fehlte.

Sagt es vor allem vor Euren Vorgesetzten. Nehmt die Stationsleitungen und Pflegedienstleitungen in die Pflicht.

Wenn sie Euch zugewandt ist, dann beratet mit ihr, welche Massnahmen euch entlasten können. In vielen Institutionen werden Aufgaben von Pflegenden übernommen, die nicht zwingend in ihren Arbeitsbereich gehören. Eine findige Pflegedienstleitung wird euch von diesen befreien können.

Ist diese nicht mit euch, ballert sie zu mit euren Dokumentationen, wann ihr was weshalb nicht machen konntet. Da könnte zum Beispiel stehen: «Körperpflege xy nicht gemacht, weil Arztvisite so viele Minuten, Pflegedokumentation so viele Minuten und Notfallsituation so viele Minuten etc.»

Eine gute Pflegedienstleitung wird diese Dokumentation weiter «nach oben» geben. Tut sie es nicht, werdet ihr das übernehmen. Ich weiss, wie viel ich verlange und glaubt mir, auch ich hätte meine liebe Mühe damit, so weit gehen zu müssen.

Sollte es jedoch aus eurer Sicht nötig sein, habt ihr immer die Möglichkeit euch Unterstützung bei den Gewerkschaften zu holen. Ob Unia oder SBK, ist gleichgültig. Und das Szenario, das ich hier beschreibe, kann nur funktionieren, wenn viele es tun.

Einigen von euch wird jetzt bestimmt klar, was der Zweck der Übung ist. Es geht darum, den Druck nicht einfach zu übernehmen, sondern ihn dahin zurück zu geben, wo er hingehört: Da wo die Entscheidung zu sparen herkommt.

Man kann jetzt sagen: «Die können auch nichts dafür, dass die Institution rentieren muss. Richtig! Aber sie sind die einzigen in dem «Spiel», die für eine Veränderung sorgen können. Sie sind die, die den Druck dorthin verschieben können, wo er hingehört: in die Politik.

Die Menschen in der Teppichetage haben Beziehungen zur Politik. Und so haben sie auch die Möglichkeit diesen Einfluss zu nutzen, dass die Probleme im Gesundheitswesen angegangen und gelöst werden. Die MiGeL-Krise und die DRGs sind zwei Beispiele.

«Diese Art von Journalismus hilft Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen. demenzjournal.com ist eine äusserst wertvolle Plattform, nicht zum Vergessen!»

Irene Bopp, ehemalig Leitende Ärztin Memory Clinic Waid in Zürich

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Das ist Geld, welches den Betrieben vorenthalten wird. Eine nicht korrekt abgebildete und dokumentierte Pflege ist nicht ausreichend vergütet. Ich verstehe nicht, warum sich in den Konzernleitungen niemand darum zu kümmern scheint, dass dies sich ändert.

Eine Pflegfachperson, die Aufgaben wie Wäschesäcke wegräumen, oder Schränke putzen übernehmen muss, ist eine vergeudete Pflegefachperson. Das ist Geld, das der Betrieb direkt zum Fenster hinausschmeisst.

Ich erwarte von den Konzernleitungen, dass sie die Ressource «Pflegende» sorgsam behandelt und von solchen Aufgaben befreit.

Jeder Betrieb in der Schweiz kämpft mit den gleichen Problemen.

Anstatt öffentlich zu machen, dass wegen des Fachkräftemangels Betten gestrichen werden müssen, hält jeder Betrieb den Deckel drauf – aus Angst vor dem Imageschaden. Wenn sie damit aufhören würden, käme vielleicht auch die Politik in Bewegung.

Also meine Lieben, krempeln wir unsere Ärmel hoch! Nehmen wir unsere Kriegerin und unsere Herrscherin zur Hilfe und geben den Druck dahin, wo er hingehört! Nach oben und von dort aus in die Politik.

Eure Madame Malevizia

www.pflegehexe.ch