Wie Kinder davon profitieren, wenn wir über Pflege sprechen
Ein offener Umgang mit Pflege-Themen ist auch bei Kindern wichtig. Erhalten sie keine Antworten auf ihre Fragen, setzen sie sich eigene Geschichten zusammen.
Bild Peggy Elfmann
Über Pflege sprechen wir erst, wenn wir es damit zu tun bekommen. Gegenüber Kindern umschiffen wir das Thema oft grossräumig. Dabei sind gerade für die Jüngsten vermeintlich heikle Themen gar nicht so heikel.
Ich weiss nicht mehr, wann Themen rund um Pflege bei uns Einzug gehalten haben. Es ist wie mit so vielen Dingen im Leben mit Demenz: Die Veränderungen sind fortlaufend.
Sie schleichen dahin wie eine Schnecke und erst wenn man seinen Blick für längere Zeit abwendet, sieht man, welchen Weg sie schon zurückgelegt haben. Nach und nach hielten immer mehr Hilfsmittel und pflegerische Unterstützung bei meinen Eltern Einzug.
Ich spreche mit meinen Kindern immer wieder über Alzheimer und Demenz. Ich weiss nicht immer eine Antwort auf ihre Fragen, aber ich finde es wichtig, die Themen anzusprechen. Ich möchte vermeiden, dass sie Fragen beschäftigen, auf die sie eine eigene Antwort zu finden versuchen und sich dadurch vielleicht unnötig Sorgen machen.
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Genau das passiert häufig, wenn man auf die Fragen von Kindern nicht eingeht. «Kinder machen sich immer ihre eigenen Gedanken und setzen daraus eigene Geschichten zusammen. Besser ist deshalb der offene Umgang», rät Christina Kuhn vom Demenz-Support in einem Interview über Kinder und Demenz.
Über pflegerische Dinge zu sprechen fällt mir allerdings gar nicht so leicht. Eigentlich kein Wunder, ich habe es nie gelernt.
Genauso wenig wie das Thema Pflegeheim waren Bettauflagen, Rollatoren oder Inkontinenzauflagen je Themen, über die wir gesprochen haben – obwohl das doch Themen für so viele sind.
Der Blog als Buch
2011 wurde bei Peggy Elfmanns Mutter Alzheimer diagnostiziert. Eine Diagnose, die alles auf den Kopf stellte. Nach dem anfänglichen Schock setzte sich die Journalistin intensiv mit der neuen Lebensrealität auseinander. Ihre Erfahrungen teilt sie auf ihremBlog «Alzheimer und wir». Nun gibt es den Blog in Buchform. Der berührende Erfahrungsbericht mit nützlichen Info-Abschnitten zeigt Herausforderungen und Lösungswege – und dass Demenz nicht das Ende ist, sondern einfach anders.
Hierkönnen Sie das Buch «Mamas Alzheimer und wir» bestellen.
Warum es schwerfällt, über Pflege zu sprechen
Pflegen ist immer noch ein Thema, über das nicht gesprochen wird. Ich meine damit nicht politische Strukturen, sondern die körperliche Pflege.
Es ist ein Tabu-Thema in unserer Gesellschaft. Auch im kleinem Kreis, etwa unter Freunden oder in der Familie.
Warum? Ist es Scham? Ja, vermutlich spielt Scham eine grosse Rolle. Oder sind es Ekelgefühle? Vielleicht auch. Oder liegt es schlichtweg an der eigenen Überforderung? Ja, möglicherweise.
Dazu kommt, dass jede:r seine eigenen Gründe hat, warum man nicht darüber redet.
Mein Grund ist oft die Unsicherheit: Ich möchte für meine Mama alles richtig machen, merke aber, wie schwer es mir manchmal allein fällt, ihr die Schuhe zu wechseln oder Zähne zu putzen.
Wenn ich davon erzähle, wie schwierig das ist und wie ratlos es mich macht, was denken dann die anderen von mir? Bin ich unfähig zu pflegen?
Solche Gedanken und falschen Glaubenssätze geistern durch meinen Kopf.
Ich versuche sie einfach weiterziehen zu lassen, denn ich weiss, dass es vor allem darum geht, es so gut wie möglich zu machen. Und dass es okay ist, nicht weiter zu wissen.
Heikle Themen – für die Kinder gar nicht so heikel
Auch Vorstellungen und Rollenbilder – das Bild der Mutter und das der Tochter – sind von Bedeutung. «Wir haben eine romantische Vorstellung über das heilige Familienleben“, schreibt Nicole in ihrem Blog. Das Problem:
Die Vorstellung hat mit der Realität oft nicht so viel gemeinsam. Es lohnt sich, die Realität zu sehen und sie auch die Kinder sehen zu lassen.
Erst neulich habe ich gemerkt, wie aufmerksam meine Kinder für Pflege-Themen sind und dass sie sich sehr dafür interessieren.
Die Kleinste hat die Inkontinenzeinlagen meiner Mama im Bad gesehen. Bei jedem Toilettengang zeigte sie darauf und fragte mich danach. Irgendwann sagte sie: «Die sind für die Oma».
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Ich weiss nicht genau, was ich erwartet hatte, aber ich fühlte mich erleichtert, als ich merkte, dass es für sie ganz normal schien. Sie wertete nicht, sie schämte sich nicht. Diese Einlagen sind für sie einfach etwas, das die Oma braucht.
Kinder sind im Umgang mit Demenz oft kleine Lehrmeister.
Oder die Stützstrümpfe. Ich habe oft mit meinem Bruder, meinem Papa und der Leiterin vom Pflegedienst darüber gesprochen. Mit meinen Kindern kaum. Aber als wir neulich bei meinen Eltern waren, wurde es Thema.
«Ach so, das sind Stützstrümpfe», kommentierte meine mittlere Tochter und erzählte, was sie sich in ihrem Kopf zusammengereimt hatte: Ein Strumpf, der eine Metallschiene hat, damit die Oma besser gehen und stehen kann.
Für meine Kinder gehört Pflege zum Leben dazu
Auch der Pflegedienst ist so ein Thema. Meinem Papa fiel es schwer, den Pflegedienst zu akzeptieren – und das, obwohl er selbst oft sagte, dass alles so anstrengend geworden sei. Aber dass jemand anderes meiner Mama mal die Haare wäscht, war beinahe ein Eingeständnis, es alleine nicht zu schaffen.
Auch mir bereitet der Pflegedienst immer wieder ein schlechtes Gewissen. Weil der Gedanke, als perfekte Tochter zu versagen, oft mitschwingt. Dieses verklärte Bild, Pflege alleine meistern zu können, begleitet mich immer noch – und das, obwohl ich es doch besser weiss.
Pflegen kann keiner alleine. Körperliche Pflege kann man nicht nebenbei machen. Es ist eine Aufgabe.
Und ich bin davon überzeugt, dass der zu Pflegende und pflegende Angehörige davon profitieren, wenn man dafür ein Netz an Helfer:innen hat und wenn man offen über die Herausforderungen spricht.
Ich wünsche mir, dass meine Töchter durch Mamas Alzheimererkrankung nicht nur lernen, was Alzheimer ist, sondern auch, dass Pflegen ein ganz normaler Bestandteil des Lebens ist und dass es gut ist, offen damit umzugehen.
«Es macht Menschen krank, wenn sie mit ihren Problemen allein gelassen werden. Deshalb ist es gut, dass es demenzjournal.com gibt.»
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