Die Zahl der Neuinfektionen mit dem neuen Coronavirus gehen zurück. Dazu kommen immer mehr Lockerungen: Viele Kinder gehen wieder in die Schule und den Kindergarten, Friseure und Geschäfte sind offen, Restaurants und Cafés ebenfalls. Was heißt das?
Schon lange grübele ich über die Frage, wann ich wieder zu meinen Eltern fahren und Mama sehen kann. Wann kann ich meinem Papa helfen, der in den vergangenen Wochen die Pflege und Betreuung von Mama alleine gemeistert hat?
Theoretisch möglich ist es ja, aber ist es auch gut? Oder gefährde ich meine Eltern damit? Das Virus ist ja immer noch da und eine Ansteckung möglich. Und ich weiß, dass meine Mama zu der Risikogruppe gehört.
Aber ganz ehrlich: Kontakthalten mit und einem Menschen mit fortgeschrittener Demenz aus der Ferne nahe sein zu können, das ist eine Illusion. Ich weiß, dass Mama Nähe braucht, und zwar echte Nähe. Und mein Papa auch.
Wie all die anderen pflegenden Angehörigen trägt er die Last alleine – und das funktioniert nicht auf Dauer. Über unseren zaghaften Weg und warum es so wichtig ist, sich an bestimmte Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen zu halten.
Ich habe meine Mama schon besucht. Ich war ein ganzes Wochenende bei meinen Eltern.
Es war eine gute Entscheidung, auch wenn ich alles andere als entspannt war. Denn die Corona-Situation macht es einem ganz schön schwer. Mit dem Lockdown im März war für mich klar, dass ich meine Mama nicht besuche. Experten rieten davon ab, dass Enkel ihre Großeltern sehen. Denn das Risiko, dass die Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 eine schwerwiegenden, gar tödlichen Verlauf nimmt, ist für Menschen ab 50 Jahren erhöht.
Ich wollte auf keinen Fall meine Mama gefährden. Ich wollte nicht, dass sie erkrankt, genauso wenig wie mein Papa, denn er ist Mamas Anker im Alltag. Also habe ich mich zurückgehalten, wollte weder alleine noch mit den Kindern fahren.
Kontakthalten in Zeiten von Corona
Wir probierten alternative Wege, um Kontakt zu halten. Meine Töchter malten Postkarten, ich schrieb Briefe und telefonierte häufiger mit meinem Papa. Ich habe sogar kleine Videos für Mama aufgenommen und mit den Kindern «In der Weihnachtsbäckerei» gesungen, weil wir uns einig waren, dass die Oma das bestimmt gut findet.
Ich habe Fotos per WhatsApp geschickt, wir haben Facetime probiert. Papa hat das Telefon immer auf laut gestellt, damit Mama unsere Stimmen hören konnte.
Aber ehrlich: es reichte nicht. Es funktionierte nicht. Mein Papa hatte Unterstützung beim Einkaufen, aber trotzdem fuhr er mit Mama ziemlich oft in den Supermarkt, obwohl er Angst hatte, wie das mit dem Tragen des Mund-Nasen-Schutzes werden würde. «Es ist ganz schön anstrengend», sagte er ein paar Mal. Und dann gefolgt von der Frage: «Das kann doch nicht so weitergehen.»
Ich spürte seine psychische Belastung. Müde von der Dauerbelastung als pflegender Angehöriger. Papas Telefonate wurden länger, ich glaube danach ging es ihm etwas besser. Aber was konnte ich aus der Ferne schon tun? Mamas Tagespflege hatte geschlossen, Papa war nun 24 Stunden, 7 Tage die Woche mit Mama alleine.
Ich hatte versucht, einen Pflegedienst zu finden, der einmal täglich kurz kommen könnte, aber nur Absagen erhalten: Überlastet, zu wenig Personal, keine Kapazitäten für Neukunden. Auch Mamas Tagespflege konnte nicht vor Ort unterstützen. Die Leiterin rief ein paar Mal bei Papa an. Sie hörte ihm zu und baute ihn ein wenig auf.
Ich hoffte, dass Papa mit seinem Humor und mit vielen Spaziergängen mit Mama durch diese Corona-Pandemie kommen würde.
Dankbar war ich, dass meine Eltern zusammen waren. Dass meine Mama meinen Papa hat. Und mein Papa bei ihr sein kann – und nicht wie andere Menschen mit Demenz, die im Pflegeheim leben, nun keinen oder sehr eingeschränkten Kontakt mit ihren Lieben haben können (Ich weiß, dass diese Vorsorgemaßnahmen richtig sind und doch ist es schwer…) Ich hoffte, dass die beiden es gut schaffen würden.