Peggy Elfmanns Mutter schläft viel und redet immer weniger. Sie verabschiedet sich mehr und mehr von ihrem früheren Leben.
Daniel Laudowicz
Peggy Elfmanns Mutter ist schläfrig und langsam geworden. Das macht Peggy traurig und unsicher. Eigentlich ist es auch schön, denn die starken Gefühle zeigen auf, wie sehr Peggy ihre Mama liebt.
Seit Jahren lasse ich los, denn Mamas Alzheimererkrankung schreitet natürlich fort. Und doch hat sich das seit einer Weile verändert, das Loslassen ist irgendwie sichtbarer geworden, in vielen Momenten. Mama ist oft in einer anderen Welt. Sie sitzt neben mir auf der Couch und ist doch woanders. Sie wirkt zufrieden. Und doch fällt es schwer, sie so zu sehen. In diesem Brief geht es um das Loslassen: »Liebe Mama, das Loslassen fällt mir so schwer.«
Als wir neulich bei euch waren, war es schön und traurig zugleich. Ich habe gemerkt, dass du immer ruhiger wirst. Morgens bist du wach und hast für ein paar Minuten die Augen geöffnet. Ich freue mich, wenn du umherschaust, ganz egal, ob du mich dabei erkennst oder nicht. Meist sitzt in deinem Lieblingssessel und schläfst schon wieder. Du schläfst sehr viel.
Post für dich
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»Mir gefällt das nicht«, sagt Papa. Und ich bin versucht, ihm zu erklären, dass das nun mal an deiner Demenz liegt, die immer weiter fortschreitet. »Was können wir denn tun?«, fragt mich meine Schwägerin. Und ich habe an all die Gespräche mit anderen Angehörigen und Expert:innen gedacht, die ich in den vergangenen Monaten geführt habe.
Klar, man kann aktivieren, mit Biographiearbeit, Musik anhören und singen und was es da noch alles gibt (und es gibt viele tolle Dinge, die man tun kann)… Aber eigentlich habe ich das Gefühl, dass du diese Ruhe brauchst und sie für dich wichtig ist. Dass du einfach das nimmst, was du brauchst, indem du deine Augen schließt. Mir macht das manchmal Angst und es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass ich irgendwie loslassen muss.
Liebe Mama, wir wollen dich bei uns haben. Wir wollen nicht, dass du in deiner Anderswelt bist und die Augen geschlossen hast. Kannst du bitte einfach weiter Frau, Partnerin, Mama, Vertraute, Oma sein? Ist das egoistisch? Es macht mich traurig, dass ich dich manchmal nicht mehr anschauen kann. Wir sind uns nah und ich genieße die Momente mit dir, aber sie sind anders geworden. Die Mama, die ich immer hatte, die ist so nicht mehr – und das macht mich traurig.
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»Ist die Oma müde?«, fragt meine jüngste Tochter. »Ich weiß es nicht«, sage ich. Und denke: »Ja, vielleicht bist du müde. Vielleicht strengt dich unsere Welt einfach viel zu sehr an und du suchst die Ruhe, indem du die Augen schließt.«
Mama, bist du müde? Fehlt dir etwas? Was können wir für dich tun? Du sitzt mit geschlossenen Augen auf der Couch oder im Sessel. Du strahlst eine große Ruhe aus und ich genieße diese Ruhe und merke, wie ich von meinem Alltags-Stresslevel herunterkomme. Und doch hätte ich es am liebsten ganz anders.
Ich spüre, wie du langsam gehst. Langsam und immer mehr ein Stückchen weiter. Und möchte dich festhalten. Möchte festhalten an dem, was du kannst und dir helfen.
Wir sitzen am Frühstückstisch. Du hast die Augen kaum offen, aber isst und trinkst mit großem Genuss. Das zu sehen, ist schön. Es lässt die Hoffnung keimen. Auch, wenn ich so viel über Demenz weiß, ist da doch immer eine kleine Hoffnung, dass du bleibst und diese Krankheit verschwindet.
Ich weiß, dass das nicht passieren wird, aber ich möchte mein Bestes tun, dass es dir gut geht. Ich nehme deine Kaffeetasse, die mit dem Blumenmotiv, und führe sie zu deiner Hand. So kannst du oft greifen und trinkst dann wunderbar. Ich möchte dir helfen zu tun, was du vielleicht noch kannst.
Vielleicht, ja vielleicht, mache ich das auch, weil ich möchte, dass du in unserer Welt bleibst, in meiner Welt. Ich möchte dich nicht loslassen. Wenn ich dich sehe, wie du mit den geschlossenen Augen isst, tut das weh. Dabei geht es dir doch gut. Du kaust sehr langsam und ihr verbringt viel Zeit mit dem Essen. Wenn ich sehe, wie du das Essen genießt, das freut mich sehr. Du lebst mit einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung – und doch spüre ich gerade beim Essen und Trinken deine Freude am Leben.
Aber weißt du, liebe Mama, du bist ja noch da – und das ist wunderbar. Um das zu sehen und zu genießen, muss ich loslassen. Loslassen, von den Bildern, die ich immer noch im Kopf habe, von den unerfüllbaren Wünschen und den unmöglichen Erwartungen, die ich an mich habe.
Liebe Mama, wenn ich dich so ansehe, wie du mit geschlossenen Augen am Tisch sitzt und mit Genuss den Kaffee trinkst, den ich dir reiche, dann merke ich, dass es dir gut geht. Ich spüre die Langsamkeit und die Ruhe. Du lebst in deinem Tempo. Du hast Papa an deiner Seite, der sich an dein Tempo angepasst hat und dir so viel ermöglicht. Ich glaube, du hast schon längst losgelassen und nun liegt es an uns, an mir loszulassen, immer wieder Abschied zu nehmen. Ich möchte dich nicht loslassen – und habe doch keine Wahl.
Im Podcast spricht Peggy Elfmann mit dem Autor und Angehörigen Robert Urban über das Loslassen
Wenn ich dich so sehe, dann sehe ich, dass es dir gut geht. Manchmal werde ich gefragt, ob du leidest und ich kann sie nie verstehen, denn du wirkst schon lange nicht mehr leidend. Ich habe gelernt, dass ich dich immer noch habe, dass es egal ist, ob du mich erkennst, dass du für immer meine Mama bist. Ich habe auch gelernt, mit meiner Traurigkeit umzugehen und auf mich zu achten. Denn beides brauche ich, um gut für dich da sein zu können.
Es fällt schwer, dich loszulassen. Es macht mich traurig und unsicher. Das fühlt sich oft schwer an, aber es ist so. Und eigentlich ist es auch schön. Denn meine Traurigkeit zeigt ja vor allem, dass ich dich sehr gerne habe. Ich möchte nicht loslassen und tue es doch immer wieder. Das ist wohl einfach so.
Deine Peggy
Peggys Schreib-Café
Dieser Text ist im digitalen Schreib-Café entstanden, als wir über das Thema Loslassen geschrieben und uns ausgetauscht haben. Es war ganz wunderbar und ich danke allen Teilnehmenden. Das Schreib-Café wird demnächst regelmäßig stattfinden. Weitere Infos, Termine und Schreib-Impulse zum Herunterladen findet ihr hier: Peggys Schreib-Café.
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