Ich wünschte, ich könnte behaupten, ich war und bin immer die liebevoll geduldige Tochter – aber so ist es leider nicht. Eine Szene, die ich nie vergessen werde: Mama steht am Waschbecken und wäscht das Geschirr ab. Ich war total genervt davon, denn zum einen haben meine Eltern einen Geschirrspüler und zum anderen wollte ich, dass sie lieber etwas Schönes macht.
Ich ging zu ihr und sagte vielleicht etwas zu barsch: «Ich mache das, geh doch ins Wohnzimmer.» Ich wollte, dass sie sich ausruht, dass sie etwas Schönes macht, vielleicht liest oder mit den Kindern spielt, denn das machte ihr immer grosse Freude. Ich nahm ihr also den Spüllappen ab und machte weiter.
Mama ging in den Flur und fing an zu weinen.
Ich spürte, dass ich sie verletzt hatte. Ich hatte einen Fehler gemacht, obwohl ich doch nur ihr Bestes wollte. Das Abspülen war für sie wichtig gewesen, eine Aufgabe, die zeigte, dass sie weiter am Alltag teilhat und etwas für ihre Familie tut. Dass sie mehr ist als ein Mensch mit Alzheimer – und ich hatte das nicht nur nicht gesehen, sondern ihr auch diese Aufgabe genommen (und dazu noch auf eine unschöne Art).
Wer einen Angehörigen mit Demenz begleitet, macht vieles zum ersten Mal
Über diese Szene zu schreiben, fällt mir nicht leicht, auch wenn sie schon einige Jahre her ist. Denn ich schäme mich, dass ich damals so blind für meine Mama und ihre Gefühle war. Und doch schreibe ich darüber.
Diese Szene habe ich sogar in meinem Buch «Mamas Alzheimer und wir» beschrieben – und das ist eine der Stellen, die ich bei meinen Lesungen immer vorlese. Warum? Weil ich es wichtig finde, über Fehler zu reden, und weil ich mich davon nicht ausnehme.