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Unser Törn ins Vergessen (18)

Die Liebe kam beim Italiener

Borgit Rabisch und Bernd Martens auf dem Segelschiff Timpe Te.

Aus dem Date beim Italiener wurde eine Liebesgeschichte mit vielen gemeinsamen Segeltörns. Bild privat

Bei einem gemeinsamen Arbeitsdienst auf der Hamburger Literaturpost lernten sich Brigit und Bernd kennen. Für Bernd war es Liebe auf den ersten Blick, Birgit verfiel dem smarten und netten Mann bei einem gemeinsamen Abendessen.

1. November 2022

Im Sommer 1980 war es so weit. Drei Frauen mieteten leerstehende Räume in der Lindenallee 40 in Eimsbüttel. Eine gab Malkurse, eine lehrte das Töpfern und Frederike Frei eröffnete das Literaturpostamt. Das Wort Amt musste sie nach Beschwerden der Deutschen Bundespost schon bald aus dem Namen streichen. Es blieb die Literaturpost und die wuchs und gedieh. Du gehörtest zu den vielen, die sich für die Literaturpost engagierten. Sich engagieren, das hieß: Texte, die geschickt oder vorbeigebracht wurden, zu kopieren, zu sortieren und in DIN-A5-Briefumschläge einzutüten.

Es gab Literaturpostbriefe zu den Themen Liebe, Umwelt, Frauen, AKW, Natur, Arbeit, Knast, Dicksein als Frau, Tagebuch, Schule, Kinder und vieles mehr. Die Briefe wurden für 2,- DM das Stück auf Marktplätzen, bei Festivals, Lesungen etc. verkauft. In der Literaturpost wurden wöchentlich Rundumlesungen veranstaltet, bei denen jeder, der sich traute, jede, die es wollte, eigene Texte vorlesen konnte. Außerdem gab es zwei Schreibgruppen: die Frauenschreibgruppe und die gemischte Donnerstagsgruppe. Du als Mann nahmst naturgemäß an der Donnerstagsgruppe teil.

Hier tauche ich langsam am Horizont deines Lebens auf, aber noch können wir zusammen nicht kommen, denn ich war in der Frauenschreibgruppe und die traf sich mittwochs.

2. November 2022

Viele Wochen existierten wir in unseren parallelen Welten. Parallelen schneiden sich bekanntlich erst im Unendlichen, doch unsere Lebenswege bewegten sich zu unserem Glück außerhalb der Geometrie. Die Literaturpost war immer nachmittags geöffnet und jeweils zwei Mitglieder sollten dort anwesend sein. Ich erklärte mich für den Freitag bereit. Prima, sagte Frederike Frei. Da kommt auch ein netter Typ aus der Donnerstagsgruppe.

Der nette Typ warst natürlich du. Wenn ich dich heute nach unserem Kennenlernen frage, beschreibst du mir das Bild in deinem Kopf noch so, wie du es mir auch vor deiner Erkrankung immer ausgemalt hast: 

Ich sehe dich die Treppe aus der Töpferei hochkommen. Deine dunklen Haare. Deine schönen Augen. Dein Lächeln. Ich war sofort hin und weg.

Bernd Martens

Noch gehört dieses Bild zu den tief in dir verankerten Erinnerungen, die du immer wieder aufrufst. Während ich kein klares Bild von unserem ersten Treffen im Kopf habe, war es bei dir die berühmte Liebe auf den ersten Blick.

Worüber haben wir an diesem ersten Tag gesprochen? Wahrscheinlich über das, worüber wir dann oft gesprochen haben: über das Lesen und das Schreiben, über die Literaturpost, über die Schreibgruppen, die Literatur und das Leben. Literatur als Kunst? Literatur als Kommunikation? Waren wir Alltagsschreiberinnen oder Sonntagsdichter? Das waren die Fragen, die uns bewegten. Und natürlich haben wir uns gegenseitig von unseren bisherigen Leben erzählt.

> Hier kannst du alle Folgen von Birgit Rabischs Logsbuch »Unser Törn ins Vergessen« nachlesen

Die Frau, in die du dich verliebt hast, war 27 Jahre alt und Mutter eines vierjährigen Sohnes, hatte Germanistik und Soziologie studiert, wollte nach der Geburt ihres Sohnes A. aber Hebamme in einem feministischen Geburtshaus werden. Weil das erst gegründet werden musste und sie von der Hebammenschule wegen ihres Studiums immer wieder als überqualifiziert abgelehnt wurde, hatte sie sich entschlossen, dann eben noch Medizin zu studieren und eine feministische Gynäkologin zu werden. Um ihr Studium zu finanzieren, arbeitete sie nach einer Kurzausbildung stundenweise für das Rote Kreuz als Hauspflegerin (heute würde man das wohl als Alltagshelferin bezeichnen).

Der Ingenieur und die Gynäkologin – dieses Paar ist dann jedoch nicht aus uns geworden. Nicht zuletzt die Literaturpost ist daran schuld, dass aus uns ein Schriftstellerpaar wurde.

3. November 2022

Mein Sohn A. war damals ein quirliges Kleinkind, das abwechselnd bei seinem Vater J. und bei mir wohnte. Jetzt ist er Mitte Vierzig, arbeitet als Administrator und ist gerade schwer verliebt in sein fünf Monate altes Kätzchen Mimi. Fast täglich schickt er mir Videos auf TikTok, auf denen sie spielt, tobt, jagt, nach Bällen hascht, aus Kartons lugt, sich räkelt und schnurrt oder einfach entspannt daliegt, wie nur Katzen es können. Ich bin nur wegen dieser Videos dieser schrecklichen chinesischen Teenie-Plattform beigetreten. Seitdem versüßen uns A.s Mimi-Videos den Start in den Tag.

Meine zukünftigen Tage erleichtern soll ein Link, den A. mir vor ein paar Tagen geschickt hat, ein Link zu einem Angebot für drahtlose Schlüsselfinder. Damit könne man auch prima gestohlene Portemonnaies wiederfinden, schrieb er mir. Ich habe das Teil sofort bestellt und gestern kam es endlich an.

Sofort bestückte ich den Sender und die Empfängerkarte im Kreditkartenformat mit Batterien und wollte die Karte in dein Portemonnaie kleben. Doch das war leider schon wieder verschwunden.

Meine Suche dauerte fast zwei Stunden, wobei du die ganze Zeit auf mich eingeredet hast, sie sei sinnlos, denn du hättest schon alles durchsucht und dein Geld sei dir garantiert gestern auf der Fähre nach Finkenwerder geklaut worden, da seien zwei sehr verdächtige Typen gewesen, der eine habe so verschlagen gegrinst und der andere ….

Ich fand das Portemonnaie schließlich versteckt zwischen zwei Büchern; kein origineller Ort, aber bei unseren vielen Büchern trotzdem schwer zu entdecken. Jetzt liegt es mit dem Kärtchen versehen an seinem Platz in der oberen Schublade im Flurschrank, und wenn es dort demnächst nicht mehr liegt, gehe ich mit dem Sender durch die Zimmer, das Portemonnaie piept laut Hier bin ich und ich lege es an seinen Platz zurück. Du musst nicht mehr verzweifelt sein, weil du beklaut wirst, und ich spare Zeit. Das ist die Theorie. Ich bin gespannt auf die Praxis.

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Zurück zu der Zeit, als wir uns kennenlernten. Damals bestand mein Problem mit Portemonnaies höchstens darin, dass meins spärlich gefüllt war, weil meine stundenweise Arbeit für das Rote Kreuz mies bezahlt wurde. Heute bezeichnet man diese Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, mit dem fortschrittlich klingenden Begriff Care-Arbeit. Besser bezahlt wird sie immer noch nicht.

Du warst zwar arbeitslos, aber eben ein arbeitsloser Ingenieur und so füllte dein Arbeitslosengeld dein Portemonnaie noch auskömmlich. Du musstest nicht darüber nachdenken, ob du es dir leisten könntest, mich ins Planetarium zur Light-Show Dark side of the moon mit der Musik von Pink Floyd einzuladen. Als Pink Floyd-Fan sagte ich natürlich gern zu.

Am Anfang stand unser erstes privates Date unter keinem guten Stern, denn wir schafften es nicht unter die Sternenkuppel des Planetariums. Ausverkauft! Aber das Wetter war schön, wir spazierten durch den Stadtpark und dann ludst du mich zum Italiener ein, zu Cannelloni mit Sahnesoße und einer edlen Flasche Rotwein. Es wurde ein so wunderbarer Abend, dass der Italiener bald zu unserem Italiener wurde, was wiederum ein schweres Problem in sich barg, das sich aber erst später zeigen sollte. An unserem ersten gemeinsamen Abend waren Cannelloni mit Sahnesoße und eine edle Flasche Rotwein eine gute Grundlage für den Beginn einer Liebesgeschichte.


Wir bedanken uns herzlich bei Birgit Rabisch und Bernd Martens, dass sie uns in vertrauensvoller Weise diese sehr persönlichen Texte und Fotos zur Verfügung stellen.

> Hier kannst du alle Folgen von Birgit Rabischs Logsbuch »Unser Törn ins Vergessen« nachlesen

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