Heimat wird oft mit einem Ort verbunden, so will es auch die Duden-Definition. Die Schriftstellerin Lena Gorelik hingegen sagt: «Heimat ist subjektiv, sie ist die meine, und sie braucht keine Definition, weil sie kein Begriff ist; sie ist ein Gefühl.»
Und sie fragt: «Ist Heimat da, wo alle die humorvollen Feinheiten meiner Sprache verstehen?» Die deutsche Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist, bezeichnet sie als ihr Zuhause.
Was ist Heimat?
In einer Spiegel-Umfrage wird in einigen Antworten auf die Frage «Was ist Heimat?» die Sprache genannt. Endlich wieder berlinern, heisst es da, oder: Heimat ist da, wo man mich versteht. In der eigenen Sprache zu Hause sein und verstanden zu werden, da, wo man lebt, ein Wunschtraum, der sich für viele Menschen nicht erfüllt.
Flucht und Migration verändern den Bezug zur eigenen Sprache. Man kann über der neuen Sprache die alte Sprache vergessen. Zumindest wird sie darunter leiden, dass sie wenig gebraucht wird. Vielleicht sprechen die eigenen Kinder die neue, fremde Sprache lieber als die Sprache der Eltern, an der die alten Geschichten hängen.
Die Mehrsprachigkeit mit ihren Schwierigkeiten hat die indischstämmige Schriftstellerin Dhumpa Lahiri erlebt. Sie schreibt:
«Auf Grund meiner gespaltenen Identität, vielleicht auch auf Grund meines Charakters, fühle ich mich als unvollständige Person (…).
Vielleicht ist der Grund auch ein linguistischer: Das Fehlen einer Sprache, mit der ich mich identifizieren kann. Als Mädchen in Amerika versuchte ich korrekt bengalisch zu sprechen, ohne Spur eines Akzentes, um damit meine Eltern zufrieden zu stellen (…).
Aber das war mir nicht möglich. Auf der anderen Seite wollte ich als Amerikanerin durchgehen, aber obwohl ich diese Sprache perfekt sprach, war mir das auch nicht möglich. (…)
Beide Seiten waren unperfekt.»
Ich nehme an, dass die einen Menschen an ihrer unperfekten oder defekten Sprache leiden, andern ist dies vielleicht gleichgültig, wieder andere erheben das Unperfekte zur neuen Sprache.
Der Satz «S’bescht wos je hets gits» ging vor einiger Zeit durch die Medien und wurde zum Markenzeichen einer Generation, der weder die eine noch die andere Sprache Muttersprache ist. In einem Artikel über die Vielfalt der Schweizer Dialekte, wird dieser Satz zum neu ernannten Ethnolekt gezählt und somit als weitere Variante den bekannten Dialekten hinzugefügt.
Die Sprachfehler von heute sind die Normen von morgen, sagen die Linguisten dazu.
Das Älterwerden verändert den Bezug zur Sprache. Sie wird schwankend, unsicher – Wörter, über die man ein Leben lang verfügen konnte, sind plötzlich weg und manchmal ebenso plötzlich wieder da. Die Veränderung der Sprache der Umgebung ist nicht immer leicht zu verkraften.
Man muss sich damit abfinden, dass man in den Medien als Seniorin oder Senior bezeichnet wird, oder noch schlimmer: als Silver- oder Goldenager.
Und nie sind wir einfach alt, sondern älter, obwohl, rein sprachlich gesehen, älter eben älter ist als alt.
Mühsam gewöhne ich mich an den Ethnolekt mit seinen ungewohnten Satzstellungen, die mich zwar, ich muss es gestehen, oft auch amüsieren.
Ich weiss es: Sprache ist in stetigem Wandel, das wurde schon vor hundert Jahren bedauert. Doch dieses Wissen hilft mir nicht, mich in der heutigen Sprache wirklich heimisch zu fühlen. Meine sprachliche Identität, meine sprachliche Heimat scheint mir bedroht.