Wie eine junge Angehörige lernte, Hilfe anzunehmen
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Mutmachgeschichte (10)

»Ich musste lernen, Hilfe anzunehmen«

Lea Sophie König

Lea Sophie König musste sich überwinde, um HIlfe anzunehmen. Bild desideria

Lea-Sophie König war erst einundzwanzig, als ihre Mutter an Alzheimer erkrankte. Plötzlich trug sie Verantwortung, für die sie sich nicht bereit fühlte. Der Austausch mit anderen jungen Angehörigen zeigte ihr, dass niemand allein durch diese Zeit gehen muss – und dass Unterstützung ein Geschenk sein kann.

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Lea Sophie

Lea-Sophie König ist 25 Jahre alt und arbeitet als kaufmännische Sachbearbeiterin in der Energiebranche. Vor vier Jahren erkrankte ihre Mutter mit damals 49 Jahren an Alzheimer. Lea-Sophie wohnte noch daheim, steckte mitten in ihrer Weiterbildung und lernte gerade das Berufsleben kennen – und mit einem Mal war sie für ihre Mutter verantwortlich. Die beiden älteren Schwestern waren schon ausgezogen.

»Ich dachte, ich muss das allein schaffen«, sagt Lea-Sophie. Vor drei Jahren fand sie zu den Demenz-Buddies von desideria, einer Gruppe für junge Angehörige von Menschen mit Demenz. Der Austausch mit Gleichgesinnten gibt ihr Kraft für den Alltag und hilft ihr, ihren Weg zu finden, in der Begleitung ihrer Mutter und in ihrem eigenen Leben. Heute sagt sie: „Ich hätte gerne früher gewusst, dass man sich nicht scheuen muss, nach Hilfe zu fragen und Unterstützung anzunehmen.“ Hier erzählt sie von ihren Erfahrungen.

Meine Herausforderung

Anfang 2019 hat es angefangen, dass ich bei meiner Mama Veränderungen bemerkt habe. Mein Vater und sie hatten sich getrennt und es war eine schwierige Zeit. Mama hat sich sehr zurückgezogen, meine beiden Schwestern und ich sind kaum an sie herangekommen. Sie hat alles auf die Trennung geschoben und meinte, sie hätte eine Depression. Wir Schwestern haben uns aber solche Sorgen gemacht, dass wir für sie einen Termin bei einer Neurologin ausgemacht haben. Nach etlichen Tests an der Uniklinik Ulm stand im Frühjahr 2021 dann die Diagnose Alzheimer fest.

Ich habe das überhaupt nicht glauben können. Ich dachte, Alzheimer bekommen nur Menschen in hohem Alter. Auch die ersten Veränderungen habe ich nicht verstanden. Mama ging beispielsweise einkaufen und kam ohne Einkauf zurück. Ich dachte, sie will mich veräppeln. Aber dass sie es wirklich vergessen hatte, verstand ich damals nicht. Von Anfang an waren meine beiden Schwestern und ich für Mama verantwortlich. Aber ich war die einzige, die noch zu Hause wohnte und so trug ich im Alltag die komplette Verantwortung für Mama, für ihren Alltag, für den Haushalt. Damals war ich 22 Jahre und noch gar nicht dazu bereit, für einen anderen Menschen Verantwortung zu übernehmen, aber ich hatte keine Wahl. Ich dachte auch, ich muss das allein schaffen.

Das habe ich gemacht

Nach der Diagnose haben meine Schwestern und ich viele Beratungsangebote genutzt. Wir wollten wissen, was Alzheimer ist, was wir für meine Mama tun können und welche Unterstützungsangebote es gibt. Meine mittlere Schwester hat sofort nach Angehörigengruppen gesucht und sich bei der Alzheimer Gesellschaft angemeldet. Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht darüber reden und habe meine Sorgen und meinen Frust in mich hineingefressen. Ich habe mein Leben aufgegeben, bin kaum noch zum Fußballtraining gegangen, habe meinen Freundinnen immer wieder abgesagt und auch meinem Freund.

Ich dachte, ich muss für Mama da sein und hatte ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht da war. Meine Schwester hat mich dann bei den Demenz-Buddies von Desideria angemeldet. Das ist eine Online-Gruppe für junge Angehörige. Meine Schwester meinte, ich müsse darüber reden. In der Vergangenheit hatte ich schon depressive Episoden und meine Schwester hatte Angst, dass ich wieder in ein Loch falle. Das erste Treffen mit den Demenz Buddies fiel mir sehr schwer. Ich war unsicher und hatte Angst, auch vor den anderen Teilnehmenden, die mir ja fremd waren. Doch schon, als die erste Angehörige anfing zu reden, fiel mir ein Stein vom Herzen. Ich habe mich sofort verstanden gefühlt und gemerkt: Ich bin nicht die Einzige. Bis dahin dachte ich wirklich, wir sind die einzigen, die jung von Demenz betroffen sind.

Was ich gelernt habe

Meine Schwestern und ich haben am Anfang nur die engen Familienmitglieder eingeweiht. Ich hatte Verständnis und Unterstützung erwartet, stattdessen wendeten sie sich ab und nahmen die Krankheit und uns nicht ernst. Auch meine Schwestern haben die Belastung ja oft nicht wirklich wahrgenommen. Ich habe mich sehr allein gelassen gefühlt. Ich hatte fast keine Freizeit mehr, entweder habe ich gearbeitet, gelernt oder war bei Mama.

»Die Demenz Meets sind genial! Ich wünsche mir, dass es mehr von ihnen gibt, damit viele Menschen eine bessere Lebensqualität haben. Die Demenz Meets passen wunderbar zu meinem Lebensmotto: lieben, leben, lächeln«.

Lilo Klotz, Beirätin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft und von Alzheimer Europe.

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Dann kam der Moment, als die Polizei anrief, weil Mama falsch gefahren war. Ich musste ihr den Führerschein wegnehmen und da wurde offensichtlich, dass ich nicht alles allein bewältigen kann. Tagsüber arbeitet Mama in der Werkstatt der Diakonie. Das tat ihr gut, denn es gibt sonst kaum Angebote für Menschen mit Demenz und für jung an Demenz Erkrankte gar nicht. Dazu kamen ihre Therapien und Arzttermine. Wie sollte ich das mit meiner Arbeit vereinbaren? Wie mit meinem Leben?

Irgendwann habe ich gemerkt: Entweder ich ziehe aus oder ich lande in der Psychiatrie. Ich habe meinen Schwestern gesagt, dass ich nicht mehr kann. Wir hatten uns zuvor richtig zerstritten und ein paar Monate nicht miteinander gesprochen. Sie waren dann häufiger bei Mama und haben verstanden, wie viel Last auf mir lag. Ich habe gelernt, dass man als Familie zusammenhalten muss, auch wenn es schwierig ist. Ich hätte gerne früher gewusst, dass ich mich nicht scheuen muss, nach Hilfe zu fragen und Unterstützung anzunehmen. Das habe ich auch durch den Austausch mit den Demenz Buddies gelernt. Mir hat es auch enorm geholfen, viel über die Krankheit zu lernen und zu verstehen, warum meine Mama vieles nicht mehr kann oder anders macht, als wir es gewöhnt sind.“

Das sollte sich ändern

Ich wünsche mir, dass es keine Vorurteile mehr über die Krankheit gibt und dass Menschen mit Demenz und deren Angehörige ernst genommen werden. Mir ist es oft passiert, dass ich von Mamas Alzheimer erzählt habe und die Reaktionen so waren, dass die Erkrankung verharmlost wurde. So nach dem Motto »ist ja nicht so schlimm« oder »Du bist doch das Kind, du bist nicht verantwortlich«.

Lilly Ebneter

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Aber es ist schlimm. Ich muss lernen meine Mama im gewohnten Mama-Tochter-Verhältnis loszulassen und das an manchen Tagen sehr schwer. Wenn ich von der großen Verantwortung und Belastung spreche, wünsche ich mir, dass das gesehen wird und nicht abgewertet. Was sich definitiv auch ändern sollte: Es braucht mehr Angebote für jung an Demenz Erkrankte.

Unsere Partner von Desideria in München haben diese Mutmachgeschichte aufgezeichnet und auf der Website www.desideria.org veröffentlicht. Wir bedanken uns herzlich bei Desideria Care.