Sie vergisst zu trinken – und muss als Notfall ins Spital - demenzjournal.com

Meine Mutter hat Demenz (6)

Sie vergisst zu trinken – und muss als Notfall ins Spital

Mutter und Sohn stehen unter einer Linde.

Markus Frutig ist stolz auf seine Mutter: Sie hat den steilen Weg auf den Hohentwiel bei Singen geschafft! Foto unter der 320-jährigen Victor-von-Scheffel-Linde. Bild Markus Frutig

2015 begann mit der beruhigenden Möglichkeit, dass die Nachbarin ab und zu nach Markus Frutigs Mutter schaute. Das entlastete ihn sehr. Obwohl seine Mutter körperlich fit war, kam eine neue Herausforderung auf ihn zu: Sie trank zu wenig. Im Mai musste sie deshalb als Notfall ins Spital.

Von Markus Frutig

Zum Glück gelang meiner Mutter Anfang 2015 der Weg an den Wochenenden zu mir und auch zum nahegelegenen Restaurant Schweizerhof im Zentrum Oberengstringens. Das besuchte sie gerne und immer öfter. Sie schaffte auch ein oder zwei Stunden lange Spaziergänge – gemütlich und mit Pausen. Ich war sehr froh und dankbar, dass sie sich allein auf den Weg machen konnte, wenn sie Hunger hatte.

Das frische Essen im Kühlschrank vergaß sie

Sie vergaß zu diesem Zeitpunkt jedoch immer öfter, dass ich ihr den Kühlschrank mit frischen Lebensmitteln gefüllt hatte. Dazu kam, dass sie zwar von ihrer Nachbarin Hedy und ihrem Mann zweimal pro Woche frisch zubereitetes Mittagessen erhielt, es aber auf dem Tisch stehen ließ und vorzog, ins Restaurant zu gehen.

Hier bestellte sie dann ihre Lieblingsmenüs wie Pommes Frites mit Wiener Schnitzel oder «Züri Gschnätzlets». Nicht selten kamen zwei Portionen Glace dazu. Wenn sie ging, ließ sie auch mal einiges liegen – zum Beispiel ihre Tasche mit dem Portemonnaie und ihre Brille.

Genug trinken wurde eine Herausforderung

Im Schweizerhof kennen alle meine Mutter. Sie wurde wie ein Familienmitglied der äußerst netten srilankanisch-tamilischen Inhaberfamilie und den Mitarbeiter:innen betreut und versorgt. Daher bekam ich öfters einen freundlichen Anruf, ihre Sachen abzuholen – oder manchmal eine offene Rechnung zu zahlen. Da meine Mutter mit Münchner Wurzeln zum Essen lieber ein «Herrgöttli» (Bier) bestellte als Wasser, Apfelsaftschorle oder Tee, hatte ich darum gebeten, ihr immer unaufgefordert ein Glas Wasser zu geben.

Denn das Trinken wurde langsam zu einer Herausforderung. Sie ließ öfters das Glas Wasser im Restaurant stehen und orderte lieber eine oder zwei Tassen Milchkaffee. Das bereitete mir zunehmend Kopfzerbrechen.

Zwang ist niemals die Ultima Ratio. Aber wie weiter?

Wasser ist für alle biochemischen Vorgänge im Organismus von Hirn, Augen, Herz, Kreislauf oder Haut essenziell. Gerade mit zunehmendem Alter trocknen viele Menschen innerlich aus. Daher ist es umso wichtiger, je nach Körpergewicht 1,5 bis 2 Liter Wasser zu trinken – wasserhaltiges Obst, Gemüse oder Kräutertee eingerechnet. Zu viel Wasser dagegen kann die Nieren überfordern.

Kaffee ist aufgrund der Werbung sehr beliebt, obschon es allgemein bekannt ist, dass es ein Genussmittel ist. Kaffee wirkt im Körper einerseits entwässernd und andererseits ist er aufputschend, was durch das Koffein als Suchtmittel verursacht wird. Nach Studien bewirkt Koffein noch weitere, heikle biochemische Reaktionen, die das Immunsystem betreffen, aber darauf gehe ich in einem der nächsten Blogs ein.*

«Nirgends anderswo wird so viel Wert auf differenzierte und anspruchsvolle Berichterstattung gelegt, als auf demenzjournal.com. Das Niveau ist stets hoch, dabei aber nicht abgehoben.»

Raphael Schönborn, Geschäftsführer Promenz, Wien

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Dass man leider viel zu oft das Trinken vergisst – ganz besonders während der Arbeit – ist nichts Neues. Bei der älteren Generation sind noch dazu eingetrichterte Verhaltensmuster und kulturelle Einflüsse mit im Spiel. So schickte es sich früher für eine Dame nicht, viel beziehungsweise genug Wasser zu trinken. Da viele Menschen dazu neigen, das Trinken zu vergessen, gibt es heute Apps als Erinnerungshilfe. Bei Demenz nützen aber leider weder Apps noch Aufforderungen per Telefon.

Ohne Probleme bis fast zum Gipfel

Dass also meine Mutter viel zu wenig trank, war mir zu dieser Zeit leider nicht bewusst. Denn sie machte insgesamt mit ihren 86 Lenzen einen körperlich sehr fitten Eindruck. Das fiel mir zum Beispiel auf einem Tagesausflug im April auf den Hohentwiel bei Singen auf.

Hier schaffte meine Mutter zwar gemütlich, aber mit Ausdauer und Willen den äußerst steilen Weg vom Restaurant auf mittlerer Höhe bis fast auf den Gipfel des erloschenen Vulkans am Bodensee – und zurück. Noch dazu ohne viele Pausen. Das war eine echte Leistung und erfüllte uns beide mit großem Stolz! Zu diesem Zeitpunkt bemerkte ich keinerlei Kreislaufprobleme bei ihr.

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Plötzlich als Notfall ins Spital

Manchmal muss einem der liebe Gott und das Schicksal etwas auf die Sprünge helfen. So kam es, dass meine Mutter einen guten Monat später kein Abendessen zu sich nehmen wollte, als ich nach der Arbeit zu ihr kam. Sie wollte nur im Bett liegen bleiben, wirkte erschöpft und abwesend. Ich tastete ihren schwachen Puls. Da sie dazu über ein extremes Schwindelgefühl klagte und sich nicht auf den Beinen halten konnte, handelte ich rasch, denn starker Schwindel mit Gehunfähigkeit können Zeichen für einen akuten oder bevorstehenden Hirnschlag sein.

Zum Glück hatte sie keine Brustschmerzen, welche auf Herzinfarkt hindeuten. Ich rief sofort die Notfallnummer vom Spital Limmattal an und informierte ihre Nachbarin Hedy. Wir hatten damals noch kein Blutdruckmessgerät, aber Hedy wollte uns ihres gleich bringen. Bange Stunden bahnten sich an. (Fortsetzung folgt)


Herzlichen Dank an den Autor Markus Frutig und die Redaktion von Helvetic Care für die Gelegenheit der Zweitverwertung dieses Beitrags.

*Anm. d. Red.: Kaffeekonsum wirkt entgegen landläufiger Meinung nicht entwässernd. Details zur Wirkung von Koffein auf den Körper können Sie hier nachlesen.