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Meine Mutter hat Demenz (1)

Die Anzeichen fielen mir zuerst nicht auf

Mutter und Sohn lächeln in die Kamera.

«Sie ist ein sehr herzlicher Mensch», sagt Markus Frutig über seine Mutter. Bild Alexander Hofmann

Markus Frutig war mit seiner Mutter in den Ferien, als er erste Veränderungen bei ihr bemerkte. Plötzlich traute sie sich nicht mehr ins Meer und vergass ihre Zimmernummer. Dass seine Mutter dement sein könnte, war eine schmerzhafte Erkenntnis für ihn.

Von Markus Frutig

Wir hatten unsere Ferien in den zurückliegenden sechs Jahren gemeinsam in Ägypten verbracht, insgesamt 21 Mal. Aufgrund der Terroranschläge entschieden wir uns im September 2013 diesmal für Teneriffa. Es begann so friedlich und idyllisch.

Aber meine Mutter schien irgendwie anders und geistig abwesend zu sein, obwohl wir ein wunderbares Luxushotel direkt am Fuße des berühmten Teide gebucht hatten – inmitten einer phantastischen Palmenoase mit atemberaubendem Meerblick.

Erste Anzeichen einer Demenz

Ferien sind ein wertvolles Zeitfenster, um vom Alltagsstress abzuschalten, das Leben zu genießen und zu entspannen. Ich hatte jetzt auch Zeit, meine Mutter bewusster wahrzunehmen. Durch die ständige Nähe zu ihr merkte ich, dass sich ihr Gedächtnis deutlich verschlechtert hatte. Diese Erkenntnis nahm einige Zeit in Anspruch, denn als beschäftigter, ständig im Berufsleben stehender Mensch waren mir die verschiedenen, ersten Anzeichen bei meiner Mutter nicht richtig aufgefallen.

Über den Autor

Markus Frutig (*1967) ist Kommunikationsexperte, Fachjournalist und Chefredaktor. Daneben ist er seit über 21 Jahren als zertifizierter Ernährungs- und Energiemedizin-Berater tätig.

Diese traten für mich jetzt in den gemeinsamen Ferien in vielen kleinen Schritten hervor: Die Wahl der vielen Speisen am üppigen Buffet schien ihr Mühe zu machen, ebenso, unseren Tisch wieder zu finden. Auch die Live-Musik im Hintergrund wurde von ihr als störend und laut empfunden, oder dass wir überhaupt in Teneriffa statt in Ägypten waren.

Auch die vielen Zimmertüren und Flure verwirrten und sie fand nicht mehr auf Anhieb den richtigen Weg vom Hotelzimmer zum Lift. Ich fragte sie zur Übung täglich nach unserer Zimmernummer, aber sie sagte mir immer eine andere Zahl, zum Beispiel ihre alte Haus- oder Wohnungsnummer aus ihrem Alltag zuhause.

Dazu kam, dass sie sich nunmehr auffällig ängstlich und nur kurz ins Meer traute, um zu schwimmen. Eigentlich war meine Mutter eine Wasserratte und hatte nicht nur die Elbe, den Zürichsee oder das rote Meer bezwungen.

Das beunruhigte mich. Was nun? War es eine vorübergehende Gedächtnisstörung oder begann eine konkrete Veränderung im Gehirn?

Wie sollte es weitergehen? Diese und viele schmerzhafte Fragen schossen mir durch den Kopf.

Ein Standpunkt verfestigte sich rasch in mir: Gab es medizinische Ursachen oder einen Mangel, der zum Gedächtnisverlust geführt hatte? Dann gab es bestimmt auch eine Therapie. Dazu waren sicher Studien verfügbar, dachte ich mir.

Gesagt, getan. Ich schaute mich auf verschiedenen offiziellen Onlineportalen im deutschsprachigen Raum zu Demenz und Alzheimer um. Dort erfuhr ich, dass es ganz unterschiedliche Formen dieser Krankheit gibt und es grundsätzlich eine nicht umkehrbare, krankhafte Entwicklung der Nervenzellen beziehungsweise des Gehirns sei.

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Daher wurde mir klar, dass diese Situation zuerst einmal fachärztlich abgeklärt werden musste. Ich wollte keinesfalls auf eigene Faust irgendeinen falschen Weg einschlagen. Vielleicht wurde es nie mehr so, wie es bisher gewesen war? Dieser Gedanke schmerzte mich sehr.

Als wir zurück nach Zürich kamen, vergingen einige Wochen mit ganz normalem Alltag. Sie schien so fit wie immer zu sein und besuchte mich an den Wochenenden zum gemeinsamen Mittagessen in meiner Wohnung in Oberengstringen.

Meine Mutter meisterte den gewohnten Spazierweg von Unterengstringen zu mir gut, obwohl sie sich im Hotel auf Teneriffa kaum orientieren konnte. Trotzdem sorgte ich mich und beobachtete alltägliche Verhaltensweisen immer genauer und hinterfragte jede ungeplante Handlung.

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Ich verdrängte meine Zweifel

Zu meinem Bedauern muss ich heute eingestehen, dass meine Beobachtungen und Gedanken dann doch in meinem Berufsalltag als Fachjournalist und Kommunikationsberater untergingen. Sie waren auch zu schmerzhaft und ich verdrängte meine Zweifel.

Was als Selbstschutz gut für die eigene Psyche sein kann, führt in der Regel nicht zur Lösung des Problems.

Daher verging rund ein dreiviertel Jahr, in dem ich mir einredete, dass es sich vielleicht nur um einzelne «Aussetzer» handelte, je nach Gemütszustand oder Biorhythmus meiner Mutter. Aber mit der Zeit ließen sich die Anzeichen nicht mehr leugnen. Mir wurde bewusst, dass ich sensibler auf die Veränderungen ihres Verhaltens eingehen musste. Dabei fiel mir öfters beim Kurzzeitgedächtnis auf, wie sie Namen, Telefonnummern oder Termine vergaß. Handelte es sich also doch um eine «kognitive Leistungsbeeinträchtigung»?

Ich fragte meinen ehemaligen Hausarzt in Stuttgart, den ich während meines Studiums dort kennengelernt hatte und mit dem ich in meiner Funktion als Ernährungsberater bereits erfolgreich Diabetes- und Krebspatienten beraten hatte, um Rat. Er bot mir einen auf mehrere Tage verteilten Diagnose-Termin an. Wir fuhren mit gemischten Gefühlen am Wochenende vor den Terminen nach Stuttgart. Einerseits sollten es ein paar schöne Ferientage werden, andererseits lasteten die bevorstehenden Untersuchungen und ihr Ausgang auf uns.

Als wir am Montagmorgen in der Praxis waren, wurden durch Blutentnahme alle wichtigen Werte sowie ihr Herz-Kreislauf-Zustand ermittelt. Danach warteten wir nervös. Am Mittwoch erfuhren wir, dass alle Werte innerhalb der Norm lagen – lediglich der Blutdruck war etwas am unteren Limit. Danach führte der Arzt verschiedene neuropsychologische Tests durch, unter anderen den bekannten «Uhrentest». Hierbei muss die Patientin innert kurzer Zeit freihändig ein kreisrundes Zifferblatt mit den zwölf Uhrzeiten auf ein leeres Blatt Papier zeichnen.

Da fiel uns auf, dass meine Mutter statt eines schönen Kreises doch eher einen eiförmigen, nicht geschlossenen Kreis zeichnete und die Uhrzeiten-Striche auch nicht korrekt einteilte und diese teils zögerlich setzte. Sie schien offensichtlich Mühe damit zu haben. Inzwischen gibt es differenziertere Testverfahren zur Diagnose, aber dieser klassische Test zeigte neben den anderen Auffälligkeiten, dass es sich um mehr als nur kurzzeitige Gedächtnislücken handelte.

Über die verschiedenen Testverfahren

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Der Arzt klärte uns darüber auf, dass es sich bei einer Demenzerkrankung – bis hin zur häufigsten Form Alzheimer – um vielfältige Signalstörungen im Gehirn handle. Diese könnten leider vielfältige Ursachen haben, die äußerst schwer einzugrenzen seien.

Wir berieten die theoretischen Möglichkeiten und er empfahl ein Antidementivum mit dem Wirkstoff Donepezilhydrochlorid. Das ist ein sogenannter Acetylcholinesterase-Hemmer, der nach aktuellen Forschungen zwar «die Entwicklung einer Demenz verlangsamen und die Symptome verbessern, aber leider keinesfalls aufhalten» kann.

Zwar hatten wir jetzt eine Diagnose, aber es türmten sich weitere und neue Fragen auf. Das verschriebene Medikament zeige nur Wirkung, wenn man es regelmäßig nehme und nicht mehr absetze. Sonst drohe sogar eine Verschlechterung des Zustandes, meinte der Arzt.

Besonders verunsicherte mich die Information, dass es während der Einnahme des Medikaments «häufig zu Appetitlosigkeit, aggressivem Verhalten, Erregungszuständen, Schwindel, Schlaflosigkeit, Erbrechen, Verdauungsstörungen, Hautausschlägen, Muskelkrämpfen, Inkontinenz und Müdigkeit» kommen könnte.

Ich stellte mir also die Frage, ob die Nebenwirkungen nicht mehr Beschwerden auslösen würden als die aktuelle Entwicklung der Demenz selbst.

Hinzu kam, dass sich Wechselwirkungen auch mit vielen pflanzlichen Wirkstoffen, wie etwa Ginseng, ergeben könnten. Und meine Mutter nahm bereits regelmäßig ein Ginseng-Präparat zur Unterstützung des Gedächtnisses.

Ich war also weiterhin verunsichert. Vor uns tat sich ein neuer Abgrund auf. Waren die vom Arzt empfohlenen Tabletten wirklich der Rettungsanker? Sollten wir damit einen Versuch wagen oder würden sie den Zustand womöglich sogar noch verschlechtern? Wir fuhren mit einem mulmigen Gefühl nach Hause. (Fortsetzung folgt …)

«Es macht Menschen krank, wenn sie mit ihren Problemen allein gelassen werden. Deshalb ist es gut, dass es demenzjournal.com gibt.»

Gerald Hüther, Hirnforscher und Bestsellerautor

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Herzlichen Dank an den Autor Markus Frutig und die Redaktion von Helvetic Care für die Gelegenheit der Zweitverwertung dieses Beitrags.