«Es soll auch Platz haben für Konfrontation und Disharmonie» - demenzjournal.com
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Vernetzung

«Es soll auch Platz haben für Konfrontation und Disharmonie»

Am Demenz Meet 2017 war unter anderem die Aktivistin Lotti Beitz zu Gast. Bild Martin Mühlegg

Diskussionen, Referate, Workshops, Vernetzung und Erfahrungsausstausch: Im August 2018 lud Daniel Wagner ein zum zweiten Zürcher Demenz Meet. alzheimer.ch unterhielt sich mit dem Initianten und Tabubrecher über abnormale Gedanken, Gutmenschen und fehlende Angebote.

Vom 9. bis am 11. August 2018 fand im Zürcher Kulturmarkt das zweite Demenz Meet statt. Es richtete sich an Angehörige, Erkrankte und Fachleute. Angekündigt waren intensive Diskussionspanels, inspirierende Impulsreferate, hilfreiche Workshops, gute Demenzgeschichten, betreuter Rückzugsort, lebendige Piazza, persönlicher Erfahrungsaustausch, wunderbares Essen und lockere Atmosphäre.

alzheimer.ch: Was machen Sie gerade?

Daniel Wagner: Ich rege mich auf über Vimeo. Ich versuche auf der Videopattform neue Teammitglieder zu integrieren, aber es funktioniert nicht. Dies ärgert mich fürchterlich – ich bin froh, dass ich jetzt mit Ihnen sprechen kann.

Sind Sie auf Vimeo im Zusammenhang mit Demenz Zürich und dem Demenz Meet?

Nein, ich mache es für meine Kommunikationsagentur.

Ihr Demenz-Aktivismus ist also kein Vollzeitjob.

Im Moment fühlt es sich nach einem Vollzeitjob an. Es ist sehr intensiv und kein reines Hobby mehr. Ich höre schon Sprüche von meinen Geschäftspartnern: «Wie sieht es aus mit deinem Zeitmanagement?». Meine Freundin findet, ich nehme mir zu wenig Zeit für mich. Ich arbeite pro Woche mindestens einen Tag für Demenz Zürich und das Demenz Meet.

Was beschäftigt Sie derzeit am Demenz Meet?

Die Werbung. Das Programm ist gut und wegen der Organisation mache ich mir keine Sorgen. Im Moment arbeite ich daran, dass wir die erwünschten 700 Teilnehmer zusammenbringen.

Das Meet dauert nun zweieinhalb Tage, und ich frage mich, ob es so funktioniert.

Es ist ein Experiment. Je nachdem, wie es dieses Jahr läuft, werde ich entscheiden, ob es im kommenden Jahr wieder nur einen Tag dauert oder ob daraus ein richtiges Festival wird.

Daniel Wagner.Bild PD

Sie brauchen 700 Teilnehmer, damit Sie schwarze Zahlen schreiben können?

So könnte ich die direkten Kosten von 70’000 Franken decken. Ich wünsche mir, dass dieser Event selbsttragend ist und von den Eintritten finanziert werden kann. Ich möchte nicht abhängig sein von Spenden und Sponsoren.

Falls es nicht gelingt: Wer übernimmt das Defizit?

Wahrscheinlich würde ich es aus dem eigenen Sack und vielleicht mit einem Beitrag des Vereins «Freunde Demenz Zürich» bezahlen. Ich betrachte es auch als ein privates Risiko. Wenn ich solche Sachen anreisse, will ich dafür geradestehen.

Woher kommt Ihre Motivation, viele Stunden und vielleicht auch privates Geld in ein gemeinnütziges Projekt zu investieren?

Es sind drei Treiber. Der eine ist die Geschichte meines Vaters, der zwölf Jahre an Alzheimer erkrankt war. Der zweite ist das Engagement meiner vor knapp zwei Jahren verstorbenen Mutter, die mit einem Verein das Alterszentrum Doldertal unterstützt hat. Aus diesem Verein ist alles gewachsen. Der dritte Treiber ist mein Bock darauf, etwas auszuprobieren. Ich will herausfinden, ob Ideen ausserhalb der normalen Gedanken funktionieren.

Welche abnormalen Gedanken haben Sie?

Wenn alle anderen Spenden suchen, gründe ich eine Demenz-Firma und gebe eine Demenz-Aktie heraus. Oder wir gehen ausserhalb des klassischen Crowdfundings auf die amerikanische Plattform Patreon, wo man Kleinbeträge sponsern kann, die als Lohn für kreative Projekte eingesetzt werden.

Oder wir lancieren in der Stadt Zürich mehrere Demenz-Stuben zur Entlastung von Angehörigen und setzen dabei auf Membership und digitale Vernetzung. Migros testet gerade eine Social-Shopping-App namens «Amigos», die Menschen im Quartier fürs Einkaufen zusammenbringt. Könnte dieser Ansatz nicht auch bei Demenz-Themen funktionieren?

Ich finde es ziemlich geil, solche Sachen auszuprobieren.

Ich weiss, dass dies viele Leute merkwürdig finden, aber mir macht es Spass.

Was erwartet die Besucher des zweiten Demenz Meets?

Der Freitag und der Samstag werden völlig verschieden sein. Am Freitag ist es eher ein Programm für Angehörige, die schon tiefer drin sind im Thema. Drei Diskussionspanels, geleitet von der langjährigen SRF-Moderatorin Karin Frei, sollen an die Substanz gehen.

Ich hoffe, dass gestritten wird auf einer Flughöhe, die auch für Fachleute interessant ist.

Am Freitag darfs gerne laut und heftig werden!

Denken Sie wirklich, dass die Gutmenschen aus der Demenz-Szene verbal aufs Dach geben werden?

Hoffentlich! Wir haben prägnante Teilnehmer in den Diskussionspanels. Die Freitod-Ärztin Erika Preisig trifft zum Beispiel auf den Palliativ-Mediziner Roland Kunz. Ich hoffe, dass solche Diskussionen richtig emotional werden und dass auch mit dem Publikum etwas passiert.

Was nützt es, wenn sich Demenz-Experten und -Aktivisten auf die Kappe geben?

Es ist in Ordnung, wenn Menschen Gutes tun und nett miteinander umgehen. Aber es soll auch Platz haben für Konfrontation und Disharmonie. Ich habe das Gefühl, die Demenz-Szene funktioniert wie andere Szenen auch. Die Freunde sind gleichzeitig auch die Gegner. Am Ende des Tages kämpfen alle ums Geld.

Daniel Wagner zum Demenz Meet 2017:

Dr. Age über silbernes Humankapital

Was steht am zweiten Tag auf dem Programm?

Der Samstag wird ein Entdeckungstag. Es wird sommerlicher, inspirierender und fröhlicher sein. Es kommen coole Referenten. Wir haben Margrit Dobler, die als Mensch eine super Geschichte mitbringt. Wir haben die Organisation Promenz aus Wien.

Wir haben Marlis Lamers mit der Mikromimik-Kommunikation. Die Clowns werden uns zeigen, was Humor bewirken kann. Fachleute wie Michael Schmieder werden eigene Aspekte einbringen.

Worauf freuen Sie sich ganz besonders?

Mich würde es freuen, wenn 700 Leute aus der ganzen Schweiz kommen. Nicht wegen des Geldes, sondern weil das Format ankommt.

Ich freue mich auf Emotionen und wünsche mir Action in der Hütte.

Ich hoffe, dass alle mit einem guten Gefühl heimgehen können.

Ein Programmpunkt heisst «I have a dream». Welchen Traum haben Sie?

Mein Traum ist es, dass Demenz kein Tabuthema mehr ist. Viele Fachleute sagen, wir seien sehr weit in der öffentlichen Diskussion. Ich sehe das anders. Ich frage mich, wie lange es noch dauern wird, bis Demenz nicht mehr als Schande, sondern als Krankheit empfunden wird.

Woran machen Sie diese Einschätzung fest?

Es gibt in der Stadt Zürich rund 10’000 Menschen mit Demenz. Ich weiss nicht, wo sie alle sind. Dazu kommen ihre 30’000 Angehörigen, die emotional mit der Krankheit verbunden sind.

Ich sehe diese Menschen nicht. Sie sind faktisch unsichtbar.

Mir fehlen innovative Konzepte in der Stadt. Dabei ist Zürich so fortschrittlich und modern, und wir haben die höchste Lebensqualität der Welt. Und doch ist das Thema versteckt. Ich finde dies beschämend!

Haben Sie eine Vermutung, wo diese Menschen sind?

Irgendwo zu Hause. Darum müssen wir lauter werden, auch wir Angehörigen. Wir müssen hinstehen und sagen, wie wir leben und wo wir die Probleme sehen. Dies soll nicht in einem Sitzungszimmer der Memory-Clinic oder der Alzheimervereinigung geschehen, sondern in der Öffentlichkeit.

«Es macht Menschen krank, wenn sie mit ihren Problemen allein gelassen werden. Deshalb ist es gut, dass es demenzjournal.com gibt.»

Gerald Hüther, Hirnforscher und Bestsellerautor

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Unsere Verantwortung als Angehörige endet nicht, wenn unser Vater oder unser Partner an einer Demenz gestorben ist. Wir müssen dafür kämpfen, dass es andere Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen besser haben. Wenn ich vorangehe, die Klappe aufreisse, so rede wie mir der Schnabel gewachsen ist, dann motiviere ich vielleicht andere, das Gleiche zu tun.

Was fehlt in der Stadt Zürich?

Wir haben hier viele gute Player. Aber jeder ist in einer anderen Ecke der Stadt und wurstelt irgendwie für sich.

Als Aussenstehender versteht man nicht, wie was zusammenhängt.

Es muss ein Kompetenzzentrum geben, einen Ort, an dem ich alle Informationen erhalte und viele Angebote gebündelt sind. Wenn es diesen Ort nicht physisch gibt, muss es ihn wenigstens digital geben.

Was würde Ihr Vater über Ihr Demenz-Engagement sagen, wenn er noch leben würde?

Wir hatten ein distanziertes Verhältnis zueinander – er würde wahrscheinlich nicht viel dazu sagen. Meine Mutter wäre sehr stolz auf mich. Sie würde sagen: «Sohnemann, du machst das sehr gut!»