Eine Frau fand auch zehn Jahre nach dem Tod ihres Mannes keinen Ausweg aus der Lebenskrise.
Bild Véronique Hoegger
Für den Ausweg aus einer Lebenskrise gibt es keine Richtzeiten und Rezepte. Erst wenn das Bewusstsein vorhanden ist, dass alles gut ist, lässt sich die Zeit danach positiv angehen.
Wann beginnt die Zeit danach, die Zeit nach dem Tod eines geliebten Menschen? Wann ist der Moment des definitiven Abschieds von der geliebten Person, der gleichzeitig den Beginn einer neuen Zeit bedeutet?
Dieses Danach beginnt mit dem Davor, vor der neuen Zeit. Stellt der Tod diese neue Zeit dar, oder ist es der Eintritt ins Heim, oder der Zeitpunkt der Diagnose? Wann fängt das Danach an? Es lässt sich kein allgemeingültiger Zeitpunkt benennen, wann es beginnt.
Frau O. betreute ihren Ehemann zu Hause. Als vieles schwierig – zu schwierig – wurde, kam ihr Ehemann auf die Tag/Nacht-Station der Sonnweid. Er starb nach weiteren drei Jahren auf der Pflegeoase. 18 Monate nach dem Tod ist im Gespräch spürbar, wie frisch das Erlebte noch ist, wie individuell die Zeit des Abschieds sich zeigt.
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Es gibt keine Richtzeiten. Kürzlich erhielt ich einen Brief einer Angehörigen, deren Ehemann vor zehn Jahren hier gestorben ist. Sieleidet noch heute unter dem Verlust. Sie hat bisher noch keinen Ausweg aus der Lebenskrise gefunden, die mit dem Tod des Partners begann.
Mit dem Tod bricht die Bindung weg
Das Schwierigste ist die Einsamkeit. Besuche beim Ehemann gaben Struktur und teilten die Wochen ein. Sie liessen Beziehung erleben – unter anderen Vorzeichen zwar, aber dennoch mit tiefer Emotionalitätausgefüllt.
Gemeinschaft erleben in unserem Heim, dies war Teil dieses strukturbedingten Beziehungsfeldes: andere Angehörige, Pflegende und Leitungspersonen. Dieses Gefühl, Teil einer grossen Familie zu sein, fällt mit dem Tod des Kranken weg. Die Bindung bricht weg.
Die Schicksalsgemeinschaft «Angehörige von einem Menschen mit Demenz» bietet nur eine schmale Basis. Der Umgang mit der Rolle des Angehörigen gestaltet sich bei jedem anders. Auch das Leben danach. Da gibt es die gut 70-jährige Frau G., die ihren Mann jahrelang zu Hause pflegte und dann in die Sonnweid brachte.
Sie suchte nach einer gewissen Zeit das Gespräch mit mir. Es dauerte ein Weilchen, bis ich begriff, was sie mir sagen wollte: Sie hatte sich neu verliebt. Und sie hatte ein schlechtes Gewissen und wollte es irgendwo deponieren. Sie war bereit, die Beziehung entwickelte sich und bestand auch nach dem Tod des Ehemanns.
Die Beziehung ist geklärt
Frau B. ist eine resolute, selbstbewusste Frau. Sie begann das Erstgespräch folgendermassen: «Unsere Ehe besteht seit vielen Jahren nur auf dem Papier, wir haben uns seit langem nichts mehr zu sagen, aber jetzt, da es zu Hause nicht mehr geht, soll er den besten Platz haben, den er haben kann.»
Der Weg zu zweit ist halb so weit … (Stephan Eicher, 1982)
Einzelzimmer
Gemeinsam ist man weniger allein
Einzelzimmer für Heimbewohner sind ein Segen. Zumindest theoretisch. In der Praxis empfinden es die Betroffenen als Belastung. weiterlesen
Ich gebe zu: Ich erschrak, weildas Danach schon davor begonnen hatte. Man fragt sich in diesem Moment: Was hält Paare zusammen, wenn die Liebe entschwindet? Die Zusammenarbeit mit Frau B. gestaltete sich sehr gut: Sie war offen und gut ansprechbar. Die Beziehung war geklärt, und sie schaute auf ihre Weise ihrem Ehemann sehr gut.
Das ertappte Paar
Eine Freundin einer Bewohnerin war plötzlich die Partnerin des Ehemannes. Für mich war es irritierend, als der Ehemann seine Frau besuchte und mit ihrer Freundin Händchen haltend am Bett der Bewohnerin auftauchte. Darf man das tun?
Danach, gemeinsam weitergehen: Frau C. hatte ihren Ehemann bei uns, Herr F. seine Ehefrau. Monate nach dem Tod der beiden begegneten meine Frau und ich den beiden Angehörigen auf einem Spaziergang. Die beiden waren eindeutig als Paar unterwegs. Sie kamen sich irgendwie ertappt vor. Warum?
Wenn Menschen sich verlieben, Nähe spüren wollen mit einer Person, wenn aus dem schweren Schicksal einer dementiellen Erkrankung etwas Neues entsteht, dann freut das uns, dann stand die Sonnweid sozusagen Pate einer neuen gemeinsamen Geschichte.
Die Frage nach der Zukunft stellt sich in Zusammenhang mit der Vergangenheit.
Das Bewusstsein, dass das eigene Leben weitergeht, ist zwar vorhanden, aber es trägt noch keine definitive Form und ist nur begrenzt vorstellbar. Frau O. kann Unterstützung erfragen und annehmen.
«Nirgends anderswo wird so viel Wert auf differenzierte und anspruchsvolle Berichterstattung gelegt, als auf demenzjournal.com. Das Niveau ist stets hoch, dabei aber nicht abgehoben.»
Was immer wieder vorhanden ist: das Bedürfnis, mit Menschen in Kontakt, in Beziehung zu treten. Es ist nicht der Wunsch nach einer neuen Partnerschaft, dafür gibt es keinen Platz im Herzen von Frau O.
Es ist die Suche nach Menschen, mit denen Gemeinschaft erlebbar ist. Dazu sind konkrete Schritte kein Problem. Sie geniesst es, mit ihrer nahen Verwandtschaft und mit Bekannten etwas zu unternehmen.
Die Fragen der Zukunft
Was tut mir gut? Was überfordert mich? Wie verhindere ich Hyperaktivität und finde mein neues Gleichgewicht. Wie entwickle ich neue Kontakte? Wie kann ich für etwas da sein und eine Idee verfolgen?
Dies sind Fragen der Zukunft, die bereits begonnen hat. Die neuen Wege zu gehen, hängt davon ab, wie gut die alten gegangen wurden. Habe ich alles getan, was mir möglich war? Habe ich genügt in meiner Aufgabe? Ist nichts mehr offengeblieben?
Wenn das Alte gut getan wurde und das Bewusstsein vorhanden ist, dass alles gut ist, lässt sich auch die Zeit danach positiv angehen.
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