Ich setze mich in diesem Beitrag mit den Tröstern und Trösterinnen auseinander und frage, was sie zum Trösten bewegt.
Dafür reflektiere ich seelsorgerliche Begegnungen und eigene Erfahrungen mit Trostbedürfnis und Trostallergie, Allergie auf den Trost also, der auf halber Strecke stehen bleibt, wie «Ach du Arme, naja, in ein paar Jahren wirst du bestimmt wissen, wofür das alles gut war».
Ich ziehe die Geschichte von Hiob und seinen Freunden und ein Gedicht von Hilde Domin für meine Auseinandersetzung heran.
Warum wollen wir trösten?
Diese Frage soll uns Profis in den Gesundheitsberufen immer wieder leiten, wenn wir das Bedürfnis zu trösten wahrnehmen. Nicht, um das Trösten zu verhindern. Sondern um zu verhindern, dass es allein beim «gut gemeint» bleibt, und der Trost mehr Chancen bekommt, hilfreich, also tröstlich, anzukommen. Während meiner Tätigkeit im Akutspital beobachtete ich immer wieder folgendes:
- Getröstete Patienten und Patientinnen sind unkomplizierter als die anderen. Sie sind zugänglicher und kooperativer. Ein guter Grund für Pflegende und Ärzte und Ärztinnen tröstend aufzutreten. Und ein legitimer Grund.
- Die Herausforderung besteht darin, in professioneller Selbstwahrnehmung zu reflektieren, ob getröstet werden soll, damit die Patientin am Morgen z. B. schneller gewaschen werden kann, oder ob getröstet werden soll, weil eine Patientin trostlos und lethargisch bzw. trostlos und aggressiv die Kooperation verweigert. Oder, im Sinne der Patientenzentrierung, weil sie trostbedürftig ist und ich ihr Trost anbieten kann und will.
- Wenn es einer Patientin besser geht, nachdem ich sie besucht, gewaschen, verbunden habe, werde ich menschlich und professionell bestätigt, vielleicht sogar existentiell: Ich bin ein guter Arzt, ich bin eine Spitalseelsorgerin, die man brauchen kann, ich bin am rechten Platz als FaGe usw. Auch da ist die Versuchung gross, trösten zu wollen, damit es mir, der Trösterin, besser geht.
Angehörige haben oft ein grosses Bedürfnis zu trösten. Immer aus Liebe? Oft, aber nicht immer, würde ich sagen. Ab und zu kommen die berühmten «Das wird schon wieder»-Beschwichtigungsformeln. Und anschliessend, auf dem Gang oder im Lift, höre ich dann entsetztes Ausrufen darüber, wie schlecht der alte Vater aussieht, wie nahe am Sterben, oder wie furchtbar es ist, sein Stöhnen vor Schmerz zu hören.
Mit den Beschwichtigungsformeln will wohl vor allem das Entsetzen auf Distanz gehalten werden. Trösten, um das Leid auf Distanz zu halten, das ist eine Haltung, die mir oft begegnet. Dieser «Trost» ist natürlich nicht böse gemeint – er ist aus Hilflosigkeit entstanden.
Aber wenn ich tröste, um mir das Elend meines Gegenübers vom Leib zu halten, habe ich vor allem mich selbst im Blick.
Deshalb lade ich ein, die Impulse, andere trösten zu wollen, zu reflektieren. Um sich das Trösten nicht zu leicht zu machen und vor allem, um tröstlicher zu werden.
Was tröstet wirklich?
Trösten betrifft das Ansehen, die Würde von Menschen, verlangt also von den Tröstenden, dass sie wirklich hinschauen.
Einer angesehenen Ärztin wird nach einem lange anhaltenden Konflikt in einer Gemeinschaftspraxis nahe gelegt zu kündigen. Von der langen Anspannung mürbe geworden, gibt sie auf und kündigt. Die Kommunikation darüber bleibt vage, Gründe werden keine offen gelegt. Sie ist untröstlich. Sie hatte ihre Patienten und Patientinnen so gern, genauso wie die vielfältigen Aufgaben als Hausärztin.
Das alles zurückzulassen mit dem Gefühl, im Team menschlich gescheitert zu sein und grosses Unrecht erlebt zu haben, war ein grosser Schmerz.
Eine Freundin sagte ihr: «Hey, du findest doch locker was Neues, jemand wie dich braucht es an so vielen Orten». Das war kein Trost, denn es gab kein Hinschauen auf ihren Abschiedsschmerz und ihre Kränkung.
Ein Kollege sagte ihr: «Wenn ich mir vorstelle, meinen Arbeitsalltag innert Wochen hinter mir zu lassen, das würde mir sehr schwer fallen, ich wäre auch sehr niedergeschlagen.» So fühlte sie sich verstanden in ihrem Kummer und vor allem in ihrer Kränkungserfahrungen, das war ihr ein Trost. Dem Verständnis ging wirkliches Hinschauen voraus. Sie erfuhr Ansehen in der Wahrnehmung ihres Kollegen. Trösten verlangt Parteilichkeit, Neutralität ist nur manchmal eine Tugend!
Frau M., eine Patientin, hatte schon einige schwere Erkrankungen hinter sich. Alles war halbwegs überstanden. Eine leichte Einschränkung beim Gehen nach einem Schlaganfall, aber damit kam sie bestens zurecht und das schien ihr kein Grund zum Klagen. Sie war ein zufriedener Mensch mit einer herzlichen Ausstrahlung.
Dann kam sie ins Spital: Brustkrebs. «Muss ich das auch noch haben, ich alte Frau. Das ist so ungerecht, nach allem, was hinter mir liegt, nach allem was meine Familie mit mir durchgemacht hat. Das ist nicht fair!»
Und sie schaute mich, die Spitalseelsorgerin, erwartungsvoll an. Feindseligkeit lag in ihrem Blick. Sie hat wohl erwartet, dass ich ihr irgendetwas Salbungsvolles sage, dass halt jede ihr Päckchen zu tragen habe oder so.