12. Februar 2011 – Tandem
So komme ich mir manchmal vor: Paul und ich auf dem Tandem. Nun muss ich die Führung übernehmen, er sitzt hinten. Ich lenke, denke, trete in die Pedale, und Paul? Oft bremst er, weil er nicht zuordnen kann, wohin wir fahren, warum wir überhaupt fahren.
Endlose Fragen, Erklärungen. Nun habe ich statt einer Hilfe hinten auf dem Velo einen Bremser. Das ist nicht nur traurig, sondern sehr beschwerlich. Dies Bild hatte ich heute Morgen. Wann immer ich die Initiative ergreife, etwas tun muss, steht er quer; bildlich, aber auch im Alltag.
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines dementen Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek)
Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
Nach dem Einkaufen will er auspacken, verstaut die Sachen oft am falschen Platz. Er will helfen, und macht es verkehrt. Nervig für mich, frustrierend für ihn.
Vorhin kam er mich suchen. «Wo ist deine Schwester?» Ich habe keine Schwester. Er meint damit mich. Dann folgen Fragen, Erklärungen, ich verstehe ihn nicht. Er findet die Worte nicht mehr, er sucht danach. Ich muss raten. Wie traurig.
Überhaupt. Ärgere mich gerade furchtbar. Vorhin im Keller, ein Blick in die Waschküche, das Fenster weit offen, bei dieser Kälte! Bosheit? Dummheit? Keine Wäsche aufgehängt, einfach das Fenster offen gelassen. Wie lange schon? Weiss nicht. So blöd können Menschen sein.
Einfach geheizte Trockenräume offen lassen! Für nichts, oder einfach, um mich herauszufordern? Ich lerne solche Dinge wegzustecken, wundere mich aber über die Dummheit und den Mangel an Einsicht von Menschen, die im Alltag eigentlich gar nicht so blöd wirken.
13. Februar 2011 – Die Dreizehn
Wie blöd die Menschen doch sein können! Sie freuen sich auf den 13. Monatslohn und schrecken dennoch vor der Zahl 13 zurück. Ohne die 13 gäbe es keine Zahlenreihe. Ohne die 13 hinge der ganze Monat in der Luft. Ohne dein 13. Lebensjahr würdest du nicht leben.
Also: Was soll dieses Getue um die Zahl 13? Dieser Aberglaube. An einem 13. wurde mein Sohn geboren. Ein Tag der grössten Freude für mich!
Was du denkst, bist du. Glaubst du ans Unglück, ziehst du es an. Was ich gefürchtet, ist über mich gekommen. Ich schliesse dabei Vorahnungen nicht aus.
Heute las ich den Artikel von Saul Friedländer in «Das Magazin». Der Historiker schreibt über den Holocaust, das «Unwort» Nazi, und den leichtfertigen Missbrauch dieses Wortes, das oft und in allen möglichen und unmöglichen Situationen verwendet wird. Der Holocaust ist mit nichts anderem zu vergleichen. Auch die Geschichte der Nazis nicht. Wir sollten fassungslos bleiben. So heisst der Artikel.
Im gleichen Magazin lese ich «Und wie geht es uns heute? Gut.» Warum nicht wenige Menschen schreckliche Erlebnisse bestens bewältigen können. Es geht um das Modewort «traumatisiert», diese endlosen Entschuldigungen, wenn der leiseste Hauch von Schicksal einen Menschen erreicht.
Sofort wird ein Care Team mobilisiert und dadurch oft alles noch schlimmer gemacht. Nicht, dass es für manche Menschen nicht hilfreich wäre, doch ebenso kann es anderen Betroffenen schaden.