11. Mai 2015 – Endgültig
Schon früh bin ich wieder bei Paul. Er hatte eine ruhige Nacht. Im Gang höre ich seine Proteste. Eine Pflegende will ihm die Sturzhose anziehen? Sie redet von mobilisieren! Er wehrt sich, klagt und jammert. Diesmal mische ich mich ein, er sei zu schwach, um herumzugehen. Er brauche jetzt eher Ruhe. Muris kommt, sein Lieblingspfleger, dieser stimmt mir zu.
Gespräch mit dem Arzt: Es sei Zeit, Abschied zu nehmen. Ja, ich weiss. Wünsche mir für Paul die baldige Erlösung von seinen Leiden und hoffe nur eines: Ein seliges Hinübergleiten, ohne Qualen, möge er in meinen Armen gehen dürfen.
Ein unerklärlicher Friede erfasst mich. Ich bin eng an Pauls Seite, sein Kopf ruht auf meinem Arm. Er atmet regelmässig, ruhig. Es klopft, die Pflegende bringt die Sauerstoffflasche, ich winke ab. Sie geht. Paul braucht das nicht, bloss Ruhe.
Plötzlich wird er unruhig, seine Hände greifen wieder nach dem Bettgestell. Es ist gut Paul, du darfst gehen… Ich liebe dich…Ich danke dir… Jesus ist dein Herr. Sanft fächere ich ihm mit einem Blatt Papier Luft zu, er beruhigt sich. Nach und nach entspannt er sich, das sich-festhalten-wollen löst sich, Kraft und Farbe weichen zusehends aus seinen Händen, sie sinken entspannt zur Seite.
Die Atmung wird unregelmässig, dann, nach einer Weile, hört sie ganz auf. Es ist still geworden, sehr still. Paul ist gegangen. Ein seliges Hinübergleiten in meinen Armen. Tiefer Friede erfüllt mich, ein heiliger Augenblick.
Ich kuschle mich in innigster Umarmung an ihn. Noch fühle ich die Wärme seines Körpers, nehme sie in mich auf. Längere Zeit verharre ich so an seiner Seite, Dankbarkeit erfüllt mich, er durfte im Frieden hinübergleiten, Er ist erlöst! Seine Leiden sind vorbei! Es ist 11 Uhr 22.
Es klopft. Sela schaut fragend, scheu herein. Ja, komm nur. Sie umarmt mich, jetzt erst fliessen die Tränen. Ihre Umarmung tut so gut. Sie hatte Paul sehr lieb, verstand sich gut mit ihm. Oft begleitete er sie bei ihren Rundgängen durch die Wohngruppe, leerte Papierkörbe, wischte den Boden.
Der Arzt kommt, spricht mir sein Beileid aus. Nun ist ihr Wunsch in Erfüllung gegangen, er konnte im Frieden sterben. Mein Herz ist mit grosser Dankbarkeit erfüllt: Endlich sind Pauls Leiden vorbei! Er ist erlöst! Und ich durfte bei ihm sein!
Andere Betreuende kommen, umarmen mich, sie sind mir die letzten Monate zur Familie geworden. Wir sind zusammengewachsen zu einem guten, verlässlichen Team, ich gehörte dazu. Ein wohltuendes, mitfühlendes Miteinander.