18. Oktober 2010 – Basta!
Manchmal weiss ich nicht mehr weiter, dann gibt es das eine Wort: Basta! Heute ist Montag. Paul hat heute fälschlicherweise die Morgenmedikamente vom Sonntag genommen. Das wäre die Portion für nächsten Sonntag gewesen, danach füllt er gewohnheitsmässig die Medikamente alle wieder auf für die Folgewoche. Aber heute ist ja Montag!
Weil er beim Frühstück das Sonntagschächtelchen erwischte, hat ihn das total durcheinander gebracht. Ich half ihm, nahm MONTAG morgens und legte sie in SONNTAG. Eigentlich alles Ok? Nicht im Kopf von Paul. Das kann er nicht einordnen und aus Erfahrung weiss ich, dass dieses Chaos möglicherweise den ganzen Tag über andauert.
Ich nehme mir Zeit, viel Zeit, mit viel Geduld, langsam. Einfach erklärend, gebe ich mir alle Mühe und Liebe, es ihm klar zu machen. Er kann es nicht verstehen, er kann mir nicht folgen, obwohl ich wirklich mit wenigen Worten und mit meinem Finger auf Sonntag und Montag hinweise. Einerseits hat er im Kopf «nachfüllen» programmiert, anderseits hört er mir gar nicht zu. Das Gehirn ist besetzt mit «nachfüllen».
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines dementen Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek)
Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
Und da stehe ich nun und erkenne nach etwa fünf Minuten, dass es umsonst ist. Es führt zu nichts. Und bald kommt meine Putzhilfe. Mein Pegel steigt, ich rege mich auf, es ist alles umsonst.
«Paul, da du manchmal Hilfe brauchst, weil du Mühe hast mit Denken, so bitte ich dich, vertraue mir, wenn ich dir sage, es ist alles ok. Die Medikamente sind richtig aufgefüllt … »
Da er wieder und wieder die Schächtelchen herausnimmt und ich weiss, dass er mich nun den ganzen Tag damit bestürmt, nehme ich sie ihm weg und sage: «So, basta! Es ist genug. Es stimmt! Vertraue mir. Es ist Ok!» Das wirkt. Ich bin erleichtert.
Manchmal staune ich, wie zügig Paul gehen kann. Heute beim Frühstück erinnere ich ihn daran, dass Grünabfuhr ist. Er sagt: «Es hat keine Abfuhrmarken mehr, auch keine Kehrichtsäcke.»
Nun, ich überlege. Das ist ein Motiv für ihn, in den Laden zu gehen – wenn er etwas will, muss es sofort sein. Er lenkt ein. Ich muss schmunzeln wie er leichten Schrittes elegant mit dem Gehstock losmarschiert. Unglaublich! Wenn wir zusammen weggehen jammert er ständig über Knieschmerzen, er könne mir nicht folgen.
Es geht also darum, ein Motiv zu finden, damit er zu seiner «Therapie» kommt. Schon nach kurzer Zeit ist er zurück, wenn auch etwas müde, was verständlich ist.
In der Zwischenzeit konnte ich die Wäsche einfüllen und aufräumen.
Wie entspannend die Zeit ist, wenn er nicht dauernd hinter mir her ist.
Nun bin ich in meinem Musikzimmer, kann durchatmen. Da geniesse ich die Entspannung wenn ich einmal alleine bin, da kann mich erholen. Unten arbeitet meine Putzhilfe, sie ist zuverlässig und sehr lieb zu Paul. Das tut ihm gut.
Das sind wohl die «Nischen der Ruhe», von denen Frau Ritter von der Alzheimer Gruppe gesprochen hat. Muss sie noch fragen, was sie genau darunter versteht.