27. Juli 2013 – So mühsam
Mehr als mühsam. Ärgerlich. So viel Bastelmaterial hatte ich Paul ins Heim gebracht, das meiste ist verschwunden, nicht mehr im Zimmer. Einzig Anita und Felice denken mit und bringen etwa Material zurück, das Herr D. bei seinen Schleichgängen auf der Suche nach Süssem mitlaufen lässt.
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines demenzkranken Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek) Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
Auch Paul nimmt ab und zu sein Werk-Körbchen ins Wohnzimmer oder zügelt Möbel in andere Zimmer. Ich habe ihm wieder eine gute Schere gekauft, um Ärger und Frust zu vermeiden. Nun sucht er überall nach der Feile, ich finde Schleifpapier und den Schleifbock.
Wie früher handhabt er das und schleift die Kanten sauber. Wie gern würde er werken. So ist er immer am Improvisieren, ärgert sich jedoch und reagiert aggressiv, wenn die nötigen Werkzeuge oder das Material fehlen.
Von den Pflegenden höre ich, es sei schwierig mit ihm. Er sei wenig kooperativ. Nett ausgedrückt. Ich sehe es ja selbst. Wann wurde er wohl zuletzt geduscht? Die Haare ungewaschen, Coiffeur-Termin seit Wochen geplant und nicht zustande gekommen.
Oft ist er unrasiert, trägt Hemden oder gar mehrere Pullover übereinander. Bei dieser ungewöhnlichen Sommerhitze. Gestern waren es 36 Grad!
Er reagierte sehr unwirsch, als ich ihn daran hindern wollte, ein weiteres Hemd überzuziehen. So muss man ihn gewähren lassen, er schwitzt, kann es nicht einordnen. Hilflos steht man da, kann ihm nicht helfen. Zwei Stunden später gehe ich erleichtert nach Hause. Aber sehr traurig.
28. Juli 2013 – Gedanken zu Hiob
All mein Auflehnen und die Fragen nach dem Warum enden in ein beinahe resigniertes mich-ergeben-ins-Gottvertrauen. Ich habe keine andere Wahl. Beim Betrachten des Sternenhimmels, oder Staunen über die Winzigkeit eines Insekts hört mein Fragen auf.
Mein Verstand ist zu klein, um solche Wunder zu erfassen. Wie also sollte ich die Zusammenhänge von Leid und Sinn des Lebens begreifen können? Vertrauen in den Schöpfer ist die einzige Möglichkeit, zu innerem Frieden zu gelangen. Der Glaube an den Fleisch gewordenen Sohn Gottes, Jesus Christus, gibt uns diese innere Gewissheit, dass Er lebt. Ich kann nicht erst glauben, wenn ich weiss.
Dieses Gewiss-Wissen, dass Er lebt, kommt durch den Glauben. Wie ein Same erst aufgeht, wenn er in der Erde liegt. Erst mein JA zu Jesus Christus, durch den Bund, den ich mit Ihm schliesse, lässt in meinem Inneren etwas geschehen, das kaum mit Worten wieder gegeben werden kann.
Als Prüfung meines Glaubens sehe ich diese Zeit mit Pauls Krankheit. Es geht um Durchhalten, Aushalten, Ertragen, Erleiden. Der Boden ist mir unter den Füssen weggezogen worden.
Mauern, die schützend um mich waren, zerbröckelten. Einen gewissen Vergleich mit Hiob lasse ich zu. Auch wenn ich nicht direkt körperliche Schmerzen erleide, es tut unsäglich weh. Schmerz, weil ich hier allein leben muss, getrennt von ihm. Schmerz, wenn ich bei ihm bin, weil der Umgang mit ihm unsäglich schwierig ist. Schmerz beim Weggehen, er klagt mich an und ich lasse ihn ohne Trost zurück.
Schuldgefühle, versagt zu haben, Unwissenheit, wie umgehen mit ihm, Hilflosigkeit weil ich ihm nicht helfen kann. Ohnmachtsgefühle, oder etwa mal Wut auf die Krankheit und das Aufatmen, wenn ich endlich weg kann.
Doch kaum zu Hause, erfasst mich wieder diese Sehnsucht, bei ihm zu sein. Ein Wechselbad der Gefühle. Liebe, Wut. Gern, ungern. Sehnsucht, Fluchtgedanke. Abhauen, nach irgendwohin.