Elegant schmiegt sich das Alterszentrum Lanzeln in die Senke zwischen dem Ende des Bahnhofs Stäfa und dem Zürichsee. Ein schöner, moderner Bau, eine Art Klammer zwischen den verzettelten Häusern und dem See. Und mehr: In diesem Gebäude, ja im ganzen Betrieb steckt vom Boden bis zum Dach derart viel Nachhaltigkeit, dass Lanzeln von der Age-Stiftung den Age Award 2013 bekam. Dieser war aber «kein reiner Architekturpreis», wie die Stiftung in ihrem Dossier betonte. Vielmehr seien die «weichen» Faktoren berücksichtigt worden:
Ein Gang durch das Haus zeigt anschaulich: Nachhaltigkeit beschränkt sich längst nicht auf den Energieverbrauch.«Wie gelingt es dem Gebäude, eine Wohn- und Gemeinschaftskultur herzustellen? Wie unterstützt die Architektur die tägliche Arbeit der Angestellten, die Betriebsabläufe und Prozesse? Und wie gelang es den Verantwortlichen, diese Anforderungen umzusetzen?»
Zügig schreitet Zentrumsleiterin Marie-Louise Sarraj im dritten Stock von Haus B zur Dachterrasse und deutet durch die grossen Fenster auf die anderen, tiefer liegenden Gebäudeteile: «Erdsondenheizung, Minergiebauweise, und auf die Dächer kommt demnächst eine Fotovoltaikanlage, deren Strom dann ins Gemeindenetz eingespiesen wird», zählt sie auf. Ein energiefreundliches Haus, das vor sechs Jahren den dreissigjährigen, viel zu engen und verwinkelten Altbau ersetzte und inzwischen bereits eine Menge Energie eingespart hat.
Nachhaltigkeit (1)
«Architektur, in der man sich nicht wohlfühlt, fehlt ein wichtiger Aspekt der Nachhaltigkeit. Deshalb ist es uns sehr wichtig, mit dem Gebäude bei den Nutzerinnen und Nutzern auf Akzeptanz zu stossen. Mit hellen und freundliche Wohn- und Aufenthaltszonen, warmen Materialien, viel Tageslicht und ähnlichem können Orte geschaffen werden, in denen man sich gerne aufhält und mit denen man sich identifizieren will.» Marco Giuliani, CEO von Bob Gysin + Partner BGP Architekten
Sarraj hat während der jahrelangen Projekt- und Bauzeit intensiv mit dem Projektteam und dem Architekten Marco Giuliani zusammengearbeitet (siehe Box). Aus ihrer langen Tätigkeit im alten Haus wusste die Heimleiterin auch, was nützlich und gefragt ist. Darum hat sie immer wieder Ideen eingegeben, und «Herr Giuliani hat diese vorbildlich aufgegriffen und umgesetzt».
Enegieeffizient, ästhetisch und umbaubar
Die Fassaden bestehen aus gedämmten Holzelementen, umgeben von einer Glasumhüllung, alles energieeffizient und ästhetisch zugleich. «Sehen Sie, jedes Zimmer hat einen Balkon», zeigt Sarraj. «Und dank der gläsernen Zwischenwände bleibt die Privatsphäre gewahrt, und dennoch können alle alteingesessenen Stäfener jederzeit auf ihren See schauen.» Ein Beitrag an ein wohliges Wohngefühl für die gegenwärtig 136 Bewohnerinnen und Bewohner, maximal hätten 142 Platz.
Die interessierten Heimleiter, Architektinnen und Baudelegationen aus ganz Europa, Australien und aus der ganzen Schweiz, die Heimleiterin Sarraj beinahe wöchentlich durch das Haus führt, wenden zwar manchmal ein, dass wohl nur wenige betagte Menschen auf dem Balkon sitzen.
Ihre Antwort lautet dann: «Erstens gewöhnen sich viele schnell daran und lernen ihren Balkon schätzen, erst recht, weil sie dank der schiebbaren getönten Glaswand einen Wind- und Sichtschutz haben. Zweitens vermittelt ein Zimmer mit Balkon ein viel besseres Wohngefühl. Kann der aktuelle Bewohner den Balkon nicht nutzen, dann kann das sicher der nächste.»
Zudem soll der ganze Bau flexibel nutzbar sein, da sich die Heimlandschaft stark verändert und neue Bedürfnisse auftauchen können. Zu diesem Zweck bestehen die Aussenmauern des ganzen Gebäudes aus einem stabilen Betonkern, der es erlaubt, im Innern ohne tragende Wände zu arbeiten – gezielt eingesetzte Stützpfeiler übernehmen diese Aufgabe.
«Das lässt zu, dass wir jederzeit Wände entfernen und die Einzelzimmer zu Doppelzimmern oder sogar kleinen Wohnungen umgestalten könnten»
So praktisch wie nötig und ästhetisch wie nur möglich
Sie drückt eine Klingel, wartet, keine Antwort. Die Bewohnerin sitzt wohl schon unten im Restaurant, sie hat sich aber bereit erklärt, ihr Zimmer zu zeigen. Ein kurzer Blick hinein zeigt einen grosszügigen Raum von 24 Quadratmetern mit einer grossen Fensterfront und schönem dunklem Eichenparkett. Dieses ist so dick, dass es mehrmals abgeschliffen werden kann, «und entgegen anfänglicher Befürchtungen nicht nur angenehm anzusehen, sondern auch leicht zu reinigen».
Nachhaltigkeit (2)
«Das Alterszentrum Lanzeln wurde nach dem Minergie-Standard geplant und realisiert. Es verbindet hohen Komfort mit niedrigem Energieverbrauch, tiefen Kosten und geringem Flächenverbrauch. Statt energetische Optimierungen mit High-Tech Lösungen zu erzielen, haben wir den Fokus darauf gelegt, passive Massnahmen zu finden, die die vorhandenen Ressourcen durch konzeptuelle und bauliche Massnahmen bestmöglich nutzen.» Marco Giuliani, CEO von Bob Gysin + Partner BGP Architekten
Der Raum ist mit persönlichen Kleinmöbeln gemütlich eingerichtet – eine individuell eingerichtete Kleinstwohnung, nur das Pflegebett gehört zum Heim. «Wer möchte, kann einen kleinen Einbaukühlschrank dazumieten.» Sarraj deutet auf den Schrank.
Selbstständigkeit so weit wie möglich, das ist hier oberstes Gebot. Sie dreht sich zum Badezimmer um: Es ist mit nachtblauen Kacheln und raffinierten Einbaunischen ausgestattet, so praktisch wie nötig und so ästhetisch wie nur möglich.
Und anpassbar: Benötigt jemand den Haltegriff zwischen Dusche und Toilette nicht, lässt er sich ganz einfach abnehmen und später wieder montieren. «Alle entfernten Griffe zusammen sparen erstaunlich viel mühsame Reinigungsarbeit.»
Nach dem Hinausgehen schliesst die Tür automatisch, sie lässt sich dann von den Bewohnern wie gewohnt mit dem Schlüssel öffnen, von den Angestellten mit einem genau programmierbaren Badge. «Damit könnte ich die letzten 1000 Zutritte kontrollieren», erklärt Marie-Louise Sarraj. Das gibt allen Sicherheit und hat die Diebstahlmeldungen rapid vermindert.
Hinunter geht es, in das Gartengeschoss, mit dem einzigen Lift dieses Haustraktes: einem Bettenlift. Auch das ist wohlüberlegt: Indem die Schmutzwäsche ihren Weg in die Wäscherei hinunter von jedem Stock durch einen Abwurf findet, lassen sich die Liftbewegungen und damit der Stromverbrauch wesentlich reduzieren.
Ausserdem finden im Grosslift locker mindestens sechs Personen samt Rollator oder Rollstuhl Platz, was wiederum eine positive soziale Auswirkung hat: Soeben verlässt eine Gruppe Seniorinnen und Senioren den Lift, einer hält sich an seinem Rollator, eine zarte graugelockte Frau schiebt ihre Nachbarin im Rollstuhl Richtung Speisesaal, die anderen plaudern miteinander. Gemeinsames Liftfahren verbindet.
Durchmischung stärkt das Selbstwertgefühl
Natürlich ist nicht das Liftfahren allein für das Gemeinschaftsgefühl verantwortlich, das liegt vor allem daran, dass die Abteilungen durchmischt sind: «Bei uns wohnen Menschen mit unterschiedlichen Diagnosen und Pflegegraden nebeneinander, und zwar, ohne dass sie bei zunehmender Pflegebedürftigkeit umziehen müssen», erklärt die Heimleiterin. Demenz, psychische Probleme, körperliche Gebrechen oder letzte Lebensphase mit Palliative Care – hier dürfen alle in ihrem gewohnten Zimmer bleiben bis zum Ende. Je nach Pflegeaufwand werden ganz einfach die Teams auf- oder abgestockt.
Diese Mischung weckt bei den Bewohnerinnen und Bewohnern Ressourcen und hebt ihr Selbstwertgefühl. Zugleich ist es auch für die Mitarbeitenden gut, wenn sie sich immer wieder auf verschiedene Menschen einstellen müssen – sie verfallen dann nicht in diesen typischen Demenzpflegeton.
Dass in der Lanzeln auch die Ideen für einen attraktiven Arbeitsplatz so gut funktioniert haben, freut besonders Pflegedienstleiterin Patrizia De Bona. Sie hatte beim Neubau ebenfalls in der Projektgruppe mitgearbeitet und kann nun sagen: «Die Grosszügigkeit der Räume und die angenehme Einrichtung haben einen positiven Einfluss auf die Arbeitsmotivation. Und auch sämtliche Abläufe haben sich bewährt, so wie wir sie geplant hatten.»
Die Idee war, alle Wege und Prozesse kurz und sinnvoll zu gestalten, damit der Pflegealltag für alle angenehm ist. Zum Wohlbefinden aller sollten beispielsweise auch gleitende Essenszeiten für die Bewohnenden und verbesserte Schichten für die Angestellten beitragen.