Dem Thema mehr Beachtung schenken
Interkulturelle Kompetenzen sollten nicht nur in der Praxis gefördert werden, sondern bereits in der Ausbildung, sagt Susan Schärli-Lim, Dozentin und Forscherin am ZHAW Departement Gesundheit. In beiden Bereichen werde dem Thema aber noch zu wenig Beachtung geschenkt.
»Im Pflegestudium wäre die Förderung interkultureller Kompetenzen idealerweise integraler Bestandteil jedes Moduls.« Mit dem Mentoring-Programm TraINErs, das Schärli-Lim mitentwickelt hat, sollen diese Kompetenzen in Studium und Pflegealltag künftig stärker gefördert werden.
Dank Mentor:innen interkulturelle Kompetenzen stärken
Interkulturelle Kompetenzen in der Pflege fördern – das ist das Ziel von «TraINErs – Training Intercultural Nursing Educators and Students». Kern des Projekts, an dem sich neben europäischen Hochschulen auch das Institut für Pflege am ZHAW Departement Gesundheit beteiligt, ist die Ausbildung interkultureller Mentor:innen für Lehre und Praxis. »Dafür haben wir ein Mentoring-Profil und einen Lehrplan entwickelt«, erklärt Dozentin und Projekt mitglied Susan Schärli-Lim. Geplant sei, dieses Jahr die ersten Dozierenden sowie Pflegefachkräfte aus der Praxis auszubilden. »Diese geben das Wissen und die Kompetenzen anschließend im Unterricht respektive im Betrieb weiter.« Zu den Praxispartnern, die bereits an einem Probelauf in Dänemark teilgenommen haben, gehören der Bereich Alter und Pflege der Stadt Winterthur und das Universitäts-Kinderspital Zürich. »Das Wissen aus dem Programm möchte ich für die Entwicklung eines Weiterbildungsmoduls nutzen«, sagt Claudia Schönbächler vom Zürcher Kinderspital, die am Probelauf teilgenommen hat.
Laut Susan Schärli-Lim haben die meisten Menschen eine monokulturelle Haltung – das größte Hindernis für eine erfolgreiche interkulturelle Zusammenarbeit. »Wir alle tragen unsere kulturelle Brille und erwarten, dass andere so ticken wie wir.«
Gerade in der Zusammenarbeit mit ausländischen Kolleg:innen könne diese Erwartung jedoch zu Missverständnissen führen, sagt Schärli-Lim und zählt Facetten der zwischenmenschlichen Interaktion auf, in denen sich Kulturen voneinander unterscheiden: Etwa in der Art, wie Konflikte ausgetragen werden, ob Emotionen gezeigt werden oder nicht – und nicht zuletzt bei der Kommunikation.
So werde beispielsweise in Asien eher indirekt und subtil kommuniziert – Gesten, Körpersprache oder Beziehungen spielten eine wichtige Rolle. »Im Gegensatz dazu wird in westlichen Ländern explizit und vor allem verbal kommuniziert.« Treffen unterschiedliche Kommunikationsstile aufeinander, kann es zu Konflikten oder Missverständnissen kommen. »Das ist besonders dann problematisch, wenn Missverständnisse fatale Folgen haben können – etwa im Notfall.«
Gesundheitsfachpersonen müssen laut Susan Schärli-Lim deshalb eine ethno-relative Haltung verinnerlichen. »Das heißt, sie sind sich der eigenen Kultur und jener der anderen bewusst. Und sie gehen achtsam mit den Unterschieden um.« Eine solche Haltung sei nicht nur im Umgang mit ausländischen Fachkräften nötig, sondern in der Zusammenarbeit mit allen Kolleg:innen. Denn:
»Kultur darf nicht mit Nationalität gleichgesetzt werden. Jeder Mensch ist kulturell anders geprägt, etwa durch das Geschlecht, den Beruf oder die Religion.«
Das illustriert beispielhaft das Erlebnis einer anderen Dozentin am Departement Gesundheit, die nicht namentlich genannt werden möchte. »Als ich als Praktikantin von Deutschland in die Schweiz gekommen bin, hat mich der Vorgesetzte sehr vertraut behandelt, er hat offen, locker und humorvoll mit mir kommuniziert.« Das habe sie irritiert, da sie ihn als Autoritätsperson gesehen und eine eher distanzierte, hierarchische Arbeitsbeziehung erwartet habe.
»Obwohl er ebenfalls Deutscher war, hatten wir eine ganz andere Vorstellung der Zusammenarbeit.« Es sei ein Trugschluss, davon auszugehen, dass Menschen gleicher Herkunft stets dieselben Werte teilen oder ähnlich kommunizieren würden. Für die Dozentin ist klar: »Sobald zwei Menschen zusammenarbeiten, wird es multikulturell.« (Tobias Hänni)