»Wer positiv über das Alter denkt, lebt gesünder« - demenzjournal.com

Einstellungssache?

»Wer positiv über das Alter denkt, lebt gesünder«

»Alle Menschen können Vorbild sein, die mit den Veränderungen, die das Alter mit sich bringt, kreativ umgehen.« pexels/Mikhail Nilov

Die Psychologin Dr. Anna Kornadt forscht seit langem über Altersbilder. Dabei stellt sie fest: Unsere Vorstellungen von Alter und Älterwerden haben einen großen Einfluss darauf, wie gesund wir sind. Inklusive Tipps für ein gesundes Älterwerden.

demenzjournal: Frau Kornadt, woran liegt es, dass sich heute ältere Menschen deutlich fitter und aktiver fühlen als die Generationen vor ihnen?

Anna Kornadt: Es ist tatsächlich schwierig, solche historischen Vergleiche anzustellen, da uns dazu oft empirische Daten fehlen. Allerdings gibt es eine neuere Studie, die zeigt, dass sich ältere Menschen heute im Vergleich zu früheren Generationen jünger fühlen, als sie chronologisch sind. 

Das könnte zum einen daran liegen, dass es den Menschen tatsächlich besser geht, sie gesünder, körperlich und kognitiv fitter sind als die Menschen früher. Andererseits könnte es sein, dass sie sich stärker vom negativen Bild des Alters abgrenzen wollen. Altern ist, wie man heute weiß, auch Ansichtssache.

Dr. Anna Kornadt ist Professorin für Psychologie an der Universität Luxemburg und forscht u. a. über den Einfluss von Altersbildern.Sophie Margue

Wie weit spielen die Bilder, die wir vom Alter im Kopf haben, für unser Älterwerden eine Rolle?

Mehrere Studien zeigen, dass Menschen mit positiven Altersbildern sich gesünder verhalten und auch tatsächlich gesünder sind, mehr soziale Kontakte haben, zufriedener sind und auch länger leben als Menschen, die negativer über ihr Alter denken.

Woran liegt das?

Die Forschung geht davon aus, dass positive Altersbilder eine wichtige psychologische Ressource sind und unser Verhalten beeinflussen. Das heißt: Wer positiver über das Alter denkt, ist eher motiviert, selbst dazu beizutragen, dass er gesund bleibt, indem er etwa regelmäßig Sport treibt.

Wie wirken sich negative Altersbilder aus?

Sie können Stress auslösen, weil vermehrt das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet wird. Das kann negative Wirkungen auf unser Herz-Kreislauf-System haben. Außerdem zeigen Studien, dass Menschen mit einem negativen Altersbild eine schnellere Zellalterung haben als diejenigen, die positiv über das Alter denken.

Psychologisch führen negative Altersbilder zu einem geringeren Lebenswillen und einer eingeschränkten Motivation, aktiv zu werden.

Wer negativer über das Alter denkt, bewegt sich weniger, trifft weniger Freunde?

Genau. Und das kann wiederum dazu führen, dass Menschen sich als weniger selbstwirksam erleben, also nicht glauben, dass sie ihre Ziele und Wünsche auch erreichen können. Dieses Gefühl schlägt dann häufig auf das Selbstwertgefühl und hindert Menschen daran, weiter aktiv zu sein.

Können negative Altersbilder auch eine Demenz begünstigen?

Tatsächlich zeigen inzwischen mehrere Studien, dass Menschen mit negativeren Altersbildern eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, an Demenz zu erkranken – insbesondere, wenn bei ihnen ein genetisches Risiko für Demenz vorliegt.  

Wie wirken sich negative Selbstbilder, also Gedanken wie »Ich kann mir eh nichts mehr merken« auf das Gedächtnis aus?

Solche negativen Altersbilder können zu sogenannten selbsterfüllenden Prophezeiungen werden. Denke ich, dass ich mir sowieso nichts merken kann, werde ich es auch weniger häufig versuchen und dadurch mein Gedächtnis weiter schwächen. Das Altern wird als unveränderlicher Prozess gesehen. Wer so denkt, wird wahrscheinlich nicht die Mühe aufwenden, Gedächtnistraining oder Übungen zu machen, die das Gedächtnis verbessern. 

Wie stark ist der Einfluss von Werbung und Medien auf unser Empfinden vom Älterwerden? Werden heute positivere Bilder transportiert als noch vor zehn oder zwanzig Jahren?

Teils teils. Die Darstellung älterer Menschen folgt häufig zwei Extremen: Zum einen sehen wir den fitten, jugendlichen »Golden Ager« auf Kreuzfahrt, zum anderen die abhängige, kranke Person im Pflegeheim bzw. den einsamen alten Menschen – letzteres konnte man besonders in der Corona-Pandemie beobachten.

Beide Extreme spiegeln natürlich nicht die Vielfalt des Alters wider, sie transportieren Altersbilder, in denen sich viele nicht wiederfinden. Insgesamt müsste das Alter in den Medien viel differenzierter und realistischer, einfach normaler dargestellt werden.

Wenn jemand über 60 häufig gesagt bekommt, er oder sie sähe jugendlich aus – hat das einen positiven Einfluss auf den Alterungsprozess? Welche Wirkung haben also Feedback und Fremdwahrnehmung?

Positives Feedback kann tatsächlich dazu führen, dass mein Selbstwert gestärkt wird und ich mich jünger fühle, als ich eigentlich bin. Das Ganze kann sich aber auch ins Gegenteil verkehren: Wenn ich dadurch den Druck verspüre, immer jung und jugendlich bleiben, den Standard unbedingt halten zu müssen.

Positive Altersbilder können also auch zu Stress führen?

Ja. Besser als das Festhalten an selbstgesetzten Standards ist Akzeptanz. Dass ich also akzeptieren kann, irgendwann etwas weniger belastbar zu sein, mehr Zeit zu brauchen, um zu regenerieren. Gleichzeitig sollte man sich aber auch neue Ziele setzen und sich nicht aufgeben.

Haben Menschen mit höherer Bildung eine größere Chance, gesund zu altern?

Tatsächlich gibt es hier einen Zusammenhang. Menschen mit einer höheren Bildung wissen mehr über die Bedeutung von Ernährung und Bewegung, gehen regelmäßiger zu Vorsorgeuntersuchungen. Menschen mit niedriger Bildung sind im Verlauf ihres Lebens im Durchschnitt oft schlechteren Lebensbedingungen ausgesetzt sind, ernähren sich weniger gesund, haben gesundheitsgefährdendere Berufe.  

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Gewissenhafte Menschen gehen meist regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen, nehmen ihre Medikamente vorschriftsmäßig ein, etc. Insofern haben sie eine gute Chance auf ein längeres Leben, das bestätigen Studien immer wieder.

Wie können Ältere, die negativen Altersbildern anhängen, eine positivere Sicht auf das Alter gewinnen?

Sicher ist es nicht zielführend, alle Altersbilder vom Negativen ins Positive zu kehren, das wäre auch nicht realistisch. Hilfreich ist aber, sich die eigenen Altersbilder einmal bewusst zu machen und zu überlegen: Warum denke ich so? Ist das wirklich die Realität oder sind es bestimmte Vorstellungen und Ängste, die ich habe, die aber nicht unbedingt eintreten müssen? Dann kann man sich überlegen: Was muss ich denn tun, damit diese oder jene Befürchtung nicht eintritt?

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Machen Sie doch bitte ein Beispiel.

Viele Menschen haben Angst vor Einsamkeit oder Demenz. Natürlich kann das mit dem Alter einhergehen, trifft aber auf die meisten Älteren tatsächlich nicht zu. Wichtig ist es, präventiv Dinge zu tun, damit die Wahrscheinlichkeit, einsam oder dement zu werden, geringer wird. Habe ich zum Beispiel Angst vor Einsamkeit im Alter, kann ich versuchen, schon in jüngeren Jahren mein soziales Netz auszubauen und zu festigen.

Wie sehen Sie Ihrem eigenen Älterwerden entgegen?

Ich versuche offen und neugierig auf das Alter zu blicken, aber auch die negativen Seiten nicht auszublenden. Letztlich bin ich optimistisch, dass mir mein Beruf und der Austausch mit Menschen aller Generationen dabei helfen werden, ein realistisch-positives Altersbild zu behalten.

Gibt es jemanden, der für Sie Vorbild ist?

Ich denke, alle Menschen können Vorbild sein, die mit den Veränderungen, die das Alter mit sich bringt, kreativ umgehen. Dazu gehört auch, Rückschläge und negative Erfahrungen in den eigenen Lebenslauf einbauen zu können.

Tipps für ein gesundes Älterwerden

  • Körperlichen Aktivitäten, soweit möglich, regelmäßig nachgehen. Das kann das eigene Bild vom Alter verbessern helfen, wie Untersuchungen belegen.
  • Auf gesunde Ernährung achten, dafür auch mal neue Rezepte ausprobieren.
  • Gedächtnistraining mit gezielten Übungen machen – das verbessert nachweislich das Erinnerungsvermögen.
  • Biografie-Arbeit – das Herausarbeiten der positiven Lebensstationen kann psychisch stabilisierend wirken und auch im Frühstadium der Demenz positive Effekte haben.
  • Positive soziale Kontakte sind wichtig und sollten frühzeitig gepflegt werden, nicht erst mit dem Eintritt ins Rentenalter.
  • Offen sein für neue Erfahrungen – etwa eine Fremdsprache lernen oder ein bisher unbekanntes Land bereisen,
  • Ziele setzen, Herausforderungen angehen – aber nicht starr daran festhalten, wenn man merkt, dass sie nicht (mehr) zu bewältigen sind, wie etwa eine Klettertour in den Bergen.
  • Wissen hilft gegen Vorurteile. Sich möglichst genau über das Alter und die damit einher gehenden Veränderungen informieren, die eigenen Altersbilder immer wieder auf den Prüfstand stellen, etwa im Gespräch mit Freunden oder dem Hausarzt. Je mehr ich über das Alter weiß und über die Möglichkeiten, die ich selbst in der Hand habe, um gesund zu altern, umso besser kann ich die eigenen Vorstellungen und Stereotypen hinterfragen.