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Leben im Heim

Viele individuelle Erinnerungen ergeben ein Ganzes

Genauso wie jede Einzelperson besitzt auch eine Institution einen reichen Erfahrungsschatz. Bild Dominique Meienberg

Wir alle verfügen über einen unendlichen Schatz an Erfahrungen, welche als Erinnerung im Gehirn gespeichert sind und auf die wir situativ zurückgreifen können. Kann auch eine Institution Erfahrungen speichern und wieder hervorholen?

Die Institution besitzt kein Gehirn als Speicherort für ihre Erinnerungen.  Zumindest nicht in dem Sinn, wie jeder Mensch über dieses so wichtige Organ verfügt. Aber in übertragenem Sinn? Wenn wir uns einmal von den rein biologischen Gegebenheiten lösen?

Dann ist vorstellbar, dass die vielen Erfahrungen und Erlebnisse, welche die einzelnen Mitarbeitenden im Laufe ihrer Tätigkeit als Erinnerung in ihrem Gehirn gespeichert haben, ähnlich wie ein Puzzle, zusammenfliessen.

Und da ist sie dann – die Erinnerung der Institution. Sie ist vorhanden. Und sie enthält, genau wie die Erinnerung des Einzelnen, viele, viele Einzelerfahrungen, welche den heutigen Alltag innerhalb der Institution beeinflussen.

Welche Erfahrungen sind das und wie beeinflussen sie die Gegenwart und auch die Zukunft der Institution? Aufgrund einer Befragung von Mitarbeitenden ergibt sich folgendes Bild:

Bewohnerinnen und Bewohner

Weitaus die meisten Erinnerungen beziehen sich auf Erlebnisse mit Bewohner:innen. Diese haben als Gemeinsamkeit jeweils den Aspekt des Aussergewöhnlichen, des Besonderen. Momente des Staunens, der Freude, der Not, der Überraschung, der Trauer, der Belastung, der Zufriedenheit – all dies ist zum Teil auch nach Jahren noch sehr detailliert abrufbar.

Ein Beispiel: «Eine Bewohnerin gibt mir blitzartig ein Stück ihres angekauten Essens in den Mund und meint, das könnte ich jetzt fertigessen.»

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Entwicklung der Sonnweid

Massgebliche Entwicklungsschritte der Gesamtinstitution prägen sich bei denjenigen ein, welche sie persönlich erlebt haben, und werden häufig dann auch an neu eintretende Mitarbeitende weitergegeben. Die neuen Gebäude, die Einführung neuer Konzepte und Wohnformen, die Erarbeitung des Leitbildes, die Veränderung des Ansehens von der früheren Pfrundweid zur heutigen Sonnweid – diese Schritte oder auch Meilensteine der Entwicklung sind tief verankert.

Ein Beispiel: «Ich erinnere mich noch sehr deutlich an die Eröffnung des Hauses E mit dem damit verbundenen Umzug vom Altbau in eine neue und viel grosszügigere Umgebung.»

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Jede:r hat auch persönliche Erlebnisse in der eigenen Rolle als Mitarbeiter:in gespeichert. Sei dies der erste Arbeitstag, der Umgang untereinander, die Haltung der Vorgesetzten, die gestellten Anforderungen – es gibt viele Erlebnisse, welche den Mitarbeitenden sofort einfallen und von denen auch immer wieder gesprochen wird.

Ein Beispiel: «Mein erster Arbeitstag in der Sonnweid – ich fühlte die besondere Stimmung, hier ist etwas anders, die Einstellung zum Menschen, Mitarbeitende, die lachen, die Ruhe und ein Stück Geborgenheit.»

Feste und Veranstaltungen

Eine weitere Erinnerungskategorie stellen die Feste, Ausflüge und Veranstaltungen dar. Kaum eine Mitarbeiterin erinnert sich nicht an den Personalausflug im Jahr x, das Personalfest mit dem Thema y oder die Einweihungsfeierlichkeiten der jeweiligen Neubauten. All diese Erinnerungen sind vorhanden und haben eine zweifache Bedeutung für die heutige und zukünftige Sonnweid.

Ein Beispiel: «Das jährliche Grümpelturnier und der Personalmangel danach.»

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Identität und Orientierung

Obwohl die Erinnerungen der Mitarbeitenden im Detail sehr individuell sind, besitzen sie doch Gemeinsamkeiten, welche dem Einzelnen das Gefühl vermitteln können, zu einem grossen Ganzen zu gehören. Sie schaffen somit eine gemeinsame Basis, von der aus man sich immer wieder neu orientieren kann.

  • Alle Mitarbeitenden können von besonderen Erlebnissen mit Bewohnenden erzählen, sie haben vielfache persönliche Erfahrungen gemacht, die ihnen ausserhalb der Institution nicht möglich gewesen wären.
  • Alle Mitarbeitenden wissen aus eigener Erfahrung oder vom Austausch mit erfahrenen Kolleginnen von der Entwicklung der Sonnweid – baulich wie inhaltlich.
  • Alle Mitarbeitenden erleben die Kultur im Umgang miteinander und sind bei der Erfüllung ihrer Aufgaben immer wieder aufgefordert, Antworten zu finden, welche ausserhalb der scheinbaren Normalität liegen.
  • Alle Mitarbeitenden haben besondere Anlässe erlebt, oder davon gehört, diese sind häufig als «Highlight» in der Erinnerung verankert.

Der individuelle – und doch gemeinsame – Erinnerungsschatz verbindet, er gibt Halt und Sicherheit. Die Erinnerungen an das Vergangene helfen bei der Gestaltung der Gegenwart und bei der Entwicklung der Zukunft – im Kleinen wie im Grossen.

Hilfe bei der Bewältigung des Alltags

  • Bei einer Besprechung zur Gestaltung einer anspruchsvollen Betreuungssituation erinnern sich mehrere Teammitglieder an frühere vergleichbare Situationen und die Wirkung der damals bestimmten Vorgehensweisen.
  • Die Erfahrungen der Mitarbeitenden im Hausdienst in der Handhabung der bisherigen Reinigungswagen fliessen ein in das Auswahlverfahren bei der Neuanschaffung.
  • Immer wiederkehrende Erfahrungen im Hinblick auf Verhaltensweisen und Bedürfnisse von Bewohnenden führten und führen zur Entwicklung neuer Angebote.
  • Das Erleben des Umgangs miteinander zu Beginn der Anstellung beeinflusst das eigene zukünftige Verhalten in der Zusammenarbeit mit anderen.

Aufgrund der bisherigen Überlegungen kann abschliessend gesagt werden, dass die Institution – genau wie jede Einzelperson – einen reichen Erfahrungsschatz besitzt. Dieser setzt sich zusammen aus vielen individuellen, in ihrem Kern aber doch vergleichbaren Erinnerungen und stellt eine wichtige Ressource in der Gegenwart und auch für die Zukunft dar.