Demenzfreundliche Polizei - demenzjournal.com
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Kompetenz

Demenzfreundliche Polizei

Manchmal wird auch der Polizeihund zum Lebensretter. Bild PD

Wenn es um Demenz-Kompetenz der Polizei geht, ist Österreich Vorreiter. Auch in der Schweiz und in Deutschland kümmert sich die Polizei verstärkt um Menschen mit Demenz. Doch gibt es immer wieder Situationen, in denen Beamte an ihre Grenzen stossen.

Kärnten

Solch ein Fall gehört mittlerweile zum Polizei-Alltag: Ein ehemaliger Bergführer, der an Demenz erkrankt ist und als aggressiv gilt, ist aus dem Pflegeheim verschwunden. Von sich aus kehrt er nicht ins Heim zurück. Die Polizei macht sich auf die Suche.

«Wir haben den Mann auf der Strasse wiedergefunden und ein Gespräch mit ihm angefangen über das Bergsteigen und den Grossglockner. So entstand eine sehr gute Gesprächsbasis, und wir konnten ihn unversehrt ins Heim zurückbringen», sagt Gert Grabmeier, Inspektionskommandant der Polizeiinspektion Obervellach in Kärnten.

Für Kollegen, die auf eine gesuchte demenzkranke Person treffen, hält Grabmeier folgenden Rat parat: «Man sagt nicht etwa: ,Endlich wir haben dich gefunden, wir suchen dich schon lange.‘ Dies kann in einzelnen Fällen zu Kurzschlusshandlungen bei der gesuchten Person führen. Wenn wir aber sagen, ,komm, wir suchen eine Person, du kannst uns helfen‘, wird der oder die Demenzerkrankte eher mitgehen.»

Grabmeier weiss, wovon er spricht. Da der Anteil der Menschen mit Demenz steigt, ist die Polizei zunehmend in vielen heiklen Situationen gefragt. Die Polizeiinspektion Obervellach gilt als besonders erfahren und hat sogar das Zertifikat «Demenzfreundliche Dienststelle» bekommen.

Für besonders demenzfreundliche Dienststellen gibt es in Österreich sogar Zertifikate.

Derzeit sind 60 Dienststellen in Österreich als «demenzfreundlich» zertifiziert – das Land ist damit Vorreiter bei der Ausbildung für den Umgang mit Menschen mit Demenz.

Eine Bedingung, um das Gütesiegel zu erhalten: Die Dienststelle muss sich mit sozialen Einrichtungen im Streifenbereich vernetzt haben – etwas mit Pflege- und Senioreneinrichtungen.

Ausserdem müssen mindestens 70 Prozent der Mitarbeiter einer Polizeiinspektion das Online-Lernprogramm «Einsatz Demenz» absolviert haben. Das Programm informiert über die Grundlagen der Krankheit und zeigt Beispiele aus der Praxis. Am Ende müssen die Mitarbeiter Online-Fragen zum Lehrstoff beantworten.

Wie kam der Lehrgang bei Grabmeiers Kolleginnen und Kollegen an? «Am Anfang war vornehme Zurückhaltung spürbar», sagt der Kommandant, »Ich habe damit angefangen und das Programm zuerst absolviert.

Am Ende waren alle 17 Kolleginnen und Kollegen davon überzeugt und haben den Lehrgang erfolgreich durchgeführt.» Also 100 statt nur 70 Prozent. 

Der versierte Umgang mit Menschen mit Demenz kommt auch den Bewohnern des Pflegeheims «Haus Michael» zugute, das ganz in der Nähe der Polizeistation liegt.

«Wir besprechen uns regelmässig mit der Pflegeheimleitung und tauschen uns über einzelne Bewohner und die Phasen und Stufen ihrer Demenzerkrankung aus», so Grabmeier.

Hamburg

Auch anderswo werden Polizisten zunehmend für den Umgang mit Menschen mit Demenz geschult. In Hamburg werden Polizeischüler in ihrer Ausbildung mit dem Krankheitsbild vertraut gemacht, seit zwei Jahren ist Demenz ein Schwerpunktthema im Unterricht.

Tipps der Akademie der Polizei Hamburg

  • Frühzeitig Namensschilder in die Kleidung (z. B. im Kragenbereich) der erkrankten Menschen einnähen, so dass die Personen beim Auffinden zeitnah identifiziert werden können.
  • In der Wohnung von alleinlebenden Menschen mit Demenz gut sichtbare Hinweisschilder anbringen, auf dem ein Ansprechpartner für eventuelle Notfälle steht.
  • Um aufwändige Recherchen zu vermeiden, sollten Menschen mit Demenz bei einem Umzug in ein Heim zeitnah umgemeldet werden.

Auch der praktische Teil kommt nicht zu kurz. «Wir möchten den Schülerinnen und Schülern vermitteln, dass Menschen mit Demenz aufgrund ihrer Erkrankung Veränderungen der Wahrnehmung entwickeln und sich alltägliche Situationen dadurch häufig beängstigend darstellen», sagt Silke Steinke von der Alzheimer Gesellschaft Hamburg.

Gemeinsam mit einer Kollegin hat sie Schulungen für die Hamburger Polizeischüler entwickelt. «Es ist elementar, Menschen mit Demenz abzuholen, ,wo sie stehen‘, und sie damit auch in ihrer Besorgnis immer wieder ernst zu nehmen. Wissen um die Veränderung kann zu mehr Geduld und Ruhe führen.»

Schwierige Situationen lassen sich auf diese Weise deeskalieren. Das gilt zum Beispiel, wenn die Polizei immer wieder ausrücken muss, weil jemand wiederholt einen Einbruch bei sich zu Hause meldet und behauptet, sein Portemonnaie sei gestohlen worden.

«Es gilt zu verstehen, dass vielleicht Spiegelungen, zum Beispiel in Fensterscheiben oder Spiegeln an der Wand, dazu führen, dass jemand mit einer Demenz Fremde in der Wohnung vermutet. Das vermeintlich gestohlene Portemonnaie wurde dann lediglich verlegt», so Silke Steinke. «Menschen mit Demenz nehmen sich selbst unter Umständen nicht mehr als die Person wahr, die sie im Spiegel sehen.»

Auch die seit ein paar Jahren veränderte Uniform der Hamburger Polizei hat bei Demenzpatienten schon für erhebliche Irritationen gesorgt: Früher war die Uniform grün/beige und als solche im Gedächtnis der Betroffenen verankert, heute ist sie dunkelblau. «Die neue Uniform wirkt unter Umständen eher beängstigend als Sicherheit vermittelnd», sagt Steinke.

Ein wichtiger Grundsatz der Akademie der Polizei lautet, dass erkrankte Personen, die glauben, in einem bereits vergangenen Lebensabschnitt oder an einem anderen Ort zu sein, nicht unbedingt vom Gegenteil überzeugt werden müssen. Stattdessen wird versucht, in der Situation (zeitlich/räumlich) des Erkrankten zu bleiben. Denn Widersprüche können Menschen mit Demenz unnötigerweise verwirren oder machen sie sogar aggressiv.

Schulungen werden in Hamburg auch den Polizisten des «besonderen Fußstreifendienstes» (BFS) angeboten. Sie absolvieren einen sogenannten «Seniorenlehrgang», in dem auch Demenz im Fokus steht. Da geht es zum einen um das Krankheitsbild, aber auch um praktische Fragen, inwieweit etwa der Einsatz von Personenspürhunden sinnvoll sein kann.

Die BFS-Beamten stehen den Kollegen ihrer Polizeikommissariate als Ansprechpartner zur Verfügung, fungieren aber auch als Bindeglied zu Senioreneinrichtungen. Ein Beispiel:

Eine alte Frau läuft nachts im Nachthemd über eine Strasse, sie wirkt verwirrt und hilflos. Beamte eines Streifenwagens treffen auf die Frau, die jedoch keine Auskunft geben kann, wo sie wohnt, an ihren Namen erinnert sie sich nur zögernd.

Was kann die Polizei in solchen Fällen tun, wenn sie auf verwirrte Menschen stösst, die möglicherweise keine nahen Angehörigen mehr haben? Hier ist der BFS gefragt, der sich mit allen Beteiligten in Verbindung setzt und versucht, Lösungen zu finden.

Zürich

Auch die Mitarbeiter der Kantonspolizei Zürich sind im Umgang mit Demenzkranken geschult. Die Schüler der Zürcher Polizeischule absolvieren in ihrer Ausbildung einen Unterrichtsblock über Menschen mit Demenz, Situationstraining inklusive.

Der Härtetest aber erfolgt in der Praxis. Wie reagiert die Polizei, wenn ein Demenzkranker in einem Laden etwas mitnimmt und zu bezahlen vergisst – eine an sich strafbare Handlung, die nicht selten bei Menschen mit Demenz vorkommt.

«In diesem Fall ist es die Aufgabe der Polizei, den Sachverhalt mittels Rapport festzuhalten. Dazu gehört die Ermittlung aller be- und entlastenden Beweise», sagt Florian Frei vom Bereich Kommunikation der Kantonspolizei Zürich.

«Die strafrechtliche Beurteilung des ,Diebstahls‘ liegt in der Kompetenz der Strafuntersuchungsbehörde. Dazu gehört auch der Hinweis auf den Gesundheitszustand der Täterschaft. Jeder Fall wird durch die Justiz für sich angeschaut und einzeln beurteilt.“

«Auf demenzjournal.com finden sich die Informationen, die ich gebraucht hätte, als ich in meiner Familie bei diesem Thema am Anfang stand.»

Arno Geiger, Schriftsteller (Der alte König in seinem Exil)

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Unerlässlich für die Arbeit der Polizei ist die gute Zusammenarbeit mit den Angehörigen. Die Kantonspolizei Zürich hat eine Broschüre speziell für Angehörige entwickelt, die damit rechnen müssen, dass der kranke Partner oder die kranke Mutter aus dem Heim weglaufen. Seit zwei Jahren gibt es die Broschüre, das Feedback der Angehörigen sei, so Florian Frei, «sehr gut».

Die Suche nach vermissten Personen kann besonders aufreibend sein, wenn die Flüchtigen nicht auf markierten Wegen oder Strassen bleiben, sondern sich sozusagen in die Büsche schlagen. Im vergangenen Jahr gelang es im Zürcher Bezirk Meilen einem schwer dementen Patienten aus dem Pflegeheim wegzulaufen, obwohl Angehörige in der Nähe waren.

Für die Suche wurde ein Hundeführer der Polizei Zürich hinzugezogen. Der Personensuchhund nahm die Fährte auf und führte den Suchtrupp in ein Waldstück. Vor einem Dornengestrüpp, in dem sich der Vermisste verfangen hatte, blieb der Hund stehen. Der Mann konnte dann schnell befreit werden. Auch für Menschen mit Demenz können Einsatzkräfte auf vier Beinen manchmal Lebensretter sein.

Quelle Youtube
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