alzheimer.ch: Was waren für sie die überraschendsten Ergebnisse im Hinblick auf die Prozesse innerhalb von Selbsthilfegruppen von Menschen mit Demenz?
Linda Örulv: Das tatsächlich Überraschendste für mich war, wie hartnäckig die Vorurteile gegenüber Menschen mit Demenz sind. Das heisst, sie haben die Vorstellung, dass diese sich ihrer Lebenssituation nicht bewusst und nicht in der Lage seien, Selbsthilfe, gegenseitige Unterstützung und Rechtsbeistand zu organisieren. Dabei gibt es eine ganze Reihe erstklassiger Beispiele für solche Bemühungen.
Ich habe mich in Patientenorganisationen umgehört, weil ich mit Selbsthilfegruppen in Kontakt treten wollte. Und zu meiner Überraschung sagten die meisten Menschen, sie hätten niemals an eine solche Möglichkeit gedacht. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass Menschen mit Demenz von dieser Art Aktivität profitieren könnten.
Die bedeutendste Entdeckung für mich ist, dass Selbsthilfegruppen den Menschen in einem frühen Stadium der Demenz eine Fülle an Optionen bieten, sowohl ihre Situation zu bewältigen, als auch eigene Perspektiven zu entwickeln und in der öffentlichen Debatte eine Stimme zu gewinnen.
Selbst in einem Stadium schwerer Desorientierung zeigen Menschen mit Demenz deutlich mehr Handlungsfähigkeit, als ihnen ihre Mitmenschen für gewöhnlich zugestehen.
Wie gehen Menschen mit Demenz vor, um gemeinsam Methoden und Mittel zur Bewältigung von Problemen zu entwickeln? Gibt es Kriterien, wie sie schwierige Angelegenheiten in den Griff bekommen?
Informationen, emotionale und praktische Unterstützung richten sich in erster Linie an Familienmitglieder. Tagespflegeprogramme und andere Angebote, wie Demenzcafés, sind nicht zu bekommen, wenn man nicht bereits eine Demenz höheren Grades hat, zumindest bei uns in Schweden; und dort bietet man lieber Freizeitaktivitäten als therapeutische Gespräche an.
Nicht jeder mit einer diagnostizierten Demenzerkrankung ist offen für Gruppenkonversationen über demenzbezogene Ängste und Anliegen.
Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
Diejenigen, die den Mut haben, ihren Problemen ins Gesicht zu sehen – und solche gibt es – dürften grosse Schwierigkeiten haben, eine Plattform dafür zu finden. Stösst man auf schwierige Themen, ist es wichtig, irgendeinen Ort zu finden, wo man darüber sprechen kann.
Familienmitglieder und Freunde sind dafür nicht immer geeignet. Leider ist es weit verbreitet, dass Menschen mit einer Demenzdiagnose den Eindruck haben, dass ihre Freunde dazu tendieren, sie zu meiden.