Eine Kultur der Sorge
Am 2. Kongress Kulturwissenschaftliche Altersforschung an der Universität Zürich2 richtete sich die Aufmerksamkeit auf Konstellationen der Sorge bei Demenz. Diese wurden aus der Perspektive unterschiedlicher kulturwissenschaftlich relevanter Fachdisziplinen betrachtet und diskutiert. Leitbild der Tagung war eine «Kultur des humanen Alterns», in der auch eine Integration von Menschen mit Demenz gelingt.
Eindrücke aus dem Kongress «Kulturen der Sorge bei Demenz», der vom 18. bis 20. November 2016 in Zürich über die Bühne ging.
Wie unterschiedlich die wissenschaftlichen und privaten Hintergründe der Teilnehmer:innen auch waren, kristallisierte sich nicht nur in den Referaten, sondern auch in den angeregten Unterhaltungen während den Pausen heraus: Was alle verbindet ist die Sorge um Menschen mit Demenz.
Eine Sorge, die nicht ausschliesslich von negativen Bildern geprägt ist, sondern eine, die einen differenzierteren Blick auf das erlaubt, was tagtäglich von Angehörigen, Freunden und Professionellen geleistet wird. Es ist eine Sorge, die viel Engagement, Kraft und Ausdauer beinhaltet und um Beziehung zwischen einander bemüht ist.
«Im Grunde sind es doch die Beziehungen zu den Menschen, welche dem Leben seinen Wert geben.»
Um einen kleinen Einblick in den Kongress zu geben, haben die beiden Autorinnen in kulturwissenschaftlicher, empirischer Weise «erforscht», welche Vorträge, Gedanken und Inputs bei den Besucherinnen und Besuchern einen ganz besonderen Eindruck hinterlassen haben. Sie werden im Folgenden in Auszügen zu Wort kommen.
Ein Referat, welches von vielen Anwesenden besonders gerühmt wurde, war jenes der Kanadierin Pia Kontos. Die auf die Erforschung von Langzeitpflegekonzepten spezialisierte Sozialwissenschaftlerin gewährte uns einen Einblick in die aussergewöhnliche Arbeit von professionellen «Elder-Clowns», also Clowns in Begegnung mit demenzbetroffenen Menschen. Arlette Graf, Studentin und Helferin am Kongress beschreibt dazu treffend:
«Frau Kontos hat anhand der Beispiele von Clowns in Alters- und Pflegeheimen aufgezeigt, wie Menschen mit Demenz mit Kreativität, Musik und Kunst erreicht werden können. Ihre Forschung veranschaulicht eindrücklich, dass demenzkranke Menschen keineswegs ‹ohne Geist› sind und durch einfühlsame und fürsorgliche Pflege eine wechselseitige Beziehung aufrechterhalten werden kann. Bei allem Schmerz und Leid, welche mit einer demenziellen Erkrankung einhergehen, erleben demenzkranke Menschen und ihre Angehörigen durchaus auch Momente der Freude und des Glücks – für diese Momente kann man sorgen.»
Auch für Gabriela Kaes, Leiterin der Stabsstelle Demenz der Zürcher Alterszentren, klingt das Referat von Pia Kontos, aber auch die persönliche Begegnung mit ihr ganz besonders nach. So fand sie darin einerseits Bekräftigung und Unterstützung für ihren Berufsalltag. Anderseits sei sie selber als «Begegnungsclownin, mit alten Menschen und Menschen mit Demenz unterwegs», weshalb sie die Worte von Frau Kontos besonders inspiriert hätten.
Sorge-Figurationen bei demenziellen Erkrankungen in der Schweiz
Das vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Projekt untersucht, wie sich die Lebensqualität von Menschen mit Demenz im häuslichen Kontext möglichst lange erhalten lässt. Dafür bedarf es neben professioneller Hilfe eines sorgenden Umfeldes. Dieses besteht nicht nur aus nächsten Angehörigen, sondern auch aus lebensweltlichen und zivilgesellschaftlichen, kirchlichen und professionellen Akteuren. Solche Konstellationen werden unter dem Begriff Sorge-Figurationen mit Methoden der qualitativen Kulturforschung exemplarisch untersucht. Ziel ist es, Erkenntnisse über Ressourcen und Potenziale, aber auch über Probleme und Desiderate des alltäglichen Umgangs mit Demenz zu gewinnen.
Bestärkung für das eigene Handeln und Anregung zum Nachdenken erhielt auch Silvia Baumert. Bei der Alzheimervereinigung Zürich ist sie in der Beratung und Zugehender Beratung sowie im Fachbereich Bildung tätig. Die Beiträge des Kongresses haben ihr gezeigt, dass «wir von der Alzheimervereinigung Zürich», wie sie selber sagt, «auf dem richtigen Weg sind und die richtige Einstellung verfolgen.»
Sehr bewegt hat sie insbesondere der Abschlussvortrag des deutschen Psychologen und Gerontologen Andreas Kruse. Dieser thematisierte den Moment der Hoffnungslosigkeit nach der Demenzdiagnose und sprach über Möglichkeiten, gemeinsam Wege aus ebendieser Hoffnungslosigkeit zu finden.