Das System fördert Beziehungslosigkeit und Unverbindlichkeit. Beziehung kann nur im direkten Kontakt mit Menschen stattfinden. Professionelle Pflege findet vor allem im Büro statt. Die Ausbildungen zielen darauf ab, möglichst wenig Zeit beim Bewohner zu verbringen.
Die Fragmentierung in einzelne Tätigkeitsbereiche führt zu fragmentierten Erfahrungen und verhindert Ganzheitlichkeit. Die «Dummen ans Bett, die Gescheiten ins Büro» wäre eine realistische Einschätzung dieser Entwicklung.
Schmerzschwester, Wundexpertin, Inkoschwester, Pflegeexpertin: Es wird sehr viel dafür getan, den Einzelnen von all dem zu befreien, was den Alltag spannend machen könnte.
Das führt dazu, dass niemand mehr Verantwortung übernehmen will, dass Absichern das oberste Gebot ist und dass Nichtstun die beste aller Möglichkeiten darstellt. Zu diesem Phänomen gesellt sich jetzt noch die Verrechtlichung des Alltags.
Nach den Schuldigen suchen
Es kann immer etwas passieren. Und wir wissen, dass Dinge geschehen können, die nicht geschehen sollen. Und dennoch geschehen diese Dinge. Heute darf nichts mehr passieren, die Suche nach Schuldigen beginnt sofort.
Es muss doch jemand verantwortlich sein, sei es im Kindergarten, in der Schule, im Altenheim. Ist tatsächlich immer jemand schuld? Am Unglück verdienen mehrere «Industrien»: der ganze Rechtsapparat, die Bürokraten, die wieder neue noch differenziertere Verbote entwickeln müssen, die Medien usw.
Allein die Regelungen des Brandschutzes zeigen, wie sehr wir in Systemen verhängt sind, wie sehr wir tägliche Einschränkungen in Kauf nehmen müssen, ohne je darauf Einfluss haben zu können, ob solche Regelungen sinnvoll sind, ja, ob sich das noch mit unseren Vorstellungen von Menschenwürde vereinbaren lässt.
Wie anders ist es möglich, dass ganze Korridore entmöbelt werden? Dass im Namen dieser ominösen Brandgefahr technische und bauliche Massnahmen umgesetzt werden müssen, die man nicht einmal denken kann, weil die Phantasie dazu nichts hergibt.
Mit welcher Vehemenz die Dame der kantonalen Heilmittelkontrolle ihre Temperaturfühler in die Medischränke versorgt und mit welcher Freude sie dann mitteilt, dass 25,6 Grad einfach zu viel sei, das muss man erlebt haben.
Und ein Medikament, das über 25 Grad gelagert wurde, darf nicht mehr abgegeben werden. Ja, deshalb sind die in den heissen Ländern auch nie gesund, weil die Medikamente bei 26 Grad nicht mehr wirken. Wir werden an nicht wirksamen Medikamenten zu Grunde gehen, nicht am Klimawandel. Aber wer Macht hat, hat Macht.
Das System fördert schlechte Qualität
Die Zunahme aller Tätigkeiten, die nicht direkt beim Bewohner stattfinden, führt zu schlechter Qualität. Das System ist nicht an Qualität interessiert, sondern am Ausbau von Leistungen, die nichts mit Qualität (Beziehungsqualität) zu tun haben.
Die neuen Qualitätskriterien in der Schweiz zeigen deutlich, dass es wie immer darum geht, das System zu verstehen und dann richtig auszufüllen, und dass es in keiner Weise darum geht, Qualität zu fördern.
Vorauseilender Gehorsam, New Public Management, sinnloser Wettbewerb, Privatisierung des Pflegemarktes, Seniorenimmobilien als Anlageobjekt: All dies hilft mit, eine Parasitenindustrie zu etablieren, der vor allem das eigene Wohl am Herzen liegt.
So geht es einem Pflegekontrolleur der Krankenkassen doch um das Wohl der Kasse und um die Sicherung des eigenen Lohnes – und nicht um das Wohl irgendeines Pflegeempfängers (neudeutsch für «Bewohner»).
Das sich selbst nährende System findet immer neue Wege, sich mit Neuem zu nähren, ob es Sinn macht oder nicht.
Die verschiedenen Controllings sind der Beweis dafür, dass das System nicht funktioniert. Immer mehr Kontrolle führte in all den Jahren nicht zu besserer Leistung, sondern vor allem zur Frage, wie man Kontrolleure zufriedenstellen kann – und das geht dann über Formalien und nicht über Inhalte.
Das System fördert Ineffizienz durch Forderung nach Effizienz
Wenn alles danach trachtet, Leistungen effizient zu erbringen, führt das zwangsläufig zu Ineffizienz. Was soll denn Effizienz sein, wenn es darum geht, genügend Zeit einem Menschen zur Verfügung zu stellen? Genaues Erfassen führt zu zusätzlichem Aufwand und zum Erfassen von falschen Kriterien.