Von Enrico Cavedon, Christoph Minnig und Peter Zängl, Fachhochschule Nordwestschweiz
Der ambulante Pflegedienst Buurtzorg ist selbstorganisiert und geht ganzheitlich vor. Dadurch erreicht er die höchste Klientenzufriedenheit von allen Gesundheitsorganisationen in den Niederlanden. 98 Prozent der Klientel würden Buurtzorg weiterempfehlen.
In den letzten fünf Jahren haben die Mitarbeitenden Buurtzorg viermal als Arbeitgeber des Jahres gewählt. Die inzwischen rund 10 000 Mitarbeitenden im Bereich Pflege arbeiten ohne Führungspersonen in selbstorganisierten Teams von sechs bis zwölf Personen.
Administrativ werden die zirka 850 Teams von insgesamt lediglich 50 Mitarbeitenden im Backoffice, Bereich «zentrale Funktionen», unterstützt. Verschiedene Studien kommen zum Schluss, dass Buurtzorg im Vergleich mit anderen niederländischen Pflegeorganisationen bis zu 40 Prozent an Pflegekosten spart und bis zu einem Drittel weniger Einweisungen ins Krankenhaus aufweist.
Buurtzorg ist nicht kritikfrei: Die Organisation musste jüngst Steuern nachbezahlen und Konkurrenzorganisationen werfen Buurtzorg Rosinenpickerei betreffend Klientel vor. Trotzdem gilt Buurtzorg in Holland und international als Erfolgsmodell.
Das wichtigste Element beim Buurtzorg-Ansatz ist eine differenzierte Vertrauensbasis.
Grösstmögliche Transparenz wird mit einem eigenen EDV-System erreicht, in dem wenige, aber relevante Daten erfasst und den Teams zurückgespiegelt werden. Alles ist für alle einsehbar. Zudem fördert das System die Kommunikation untereinander.
Das Coachingkonzept ist ein weiterer Grundpfeiler des Modells. Coaches bieten den Teams Support an. Jedoch haben sie keine hierarchische Position und keine formelle Position betreffend Organisationspolitik und Entscheidungsfindung.
Sie vermitteln den Teams die Philosophie, die Kultur und die Arbeitsweise von Buurtzorg. Sie bieten Support und Begleitung in der Teamentwicklung und steigern folgende Fähigkeiten der Teams: Unabhängig arbeiten, Problemlösung und Selbststeuerung.
Bei Buurtzorg gibt es kein mittleres Management, aber die Coaches haben einen Blick aus mittlerer Distanz auf ein Team. Ein Coach ist für etwa 40 Teams zuständig. Abgesehen von einem halbjährlichen Treffen, reagieren und beraten Coaches hauptsächlich auf Anfrage. Es besteht dementsprechend eine Holschuld seitens der Teams.
Buurtzorg und die Schweiz
2016 wurde bei der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz (Institut Beratung Coaching und Sozialmanagement) von den drei Spitex-Organisationen Bern, Region Olten und Zürich Limmat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Es galt, die Übertragung des Selbstorganisationsmodells von Buurtzorg in den schweizerischen Kontext zu prüfen. Die Autoren kommen zum Schluss: Wie bei Buurtzorg in den Niederlanden kann Selbstorganisation auch in der schweizerischen Pflegelandschaft gelingen, wenn die lokalen Realitäten beachtet und vor diesem Hintergrund Veränderungen angestossen werden.
Nach Abschluss der Studie im März 2018 haben zwei der drei Spitex-Organisationen, die die Studie in Auftrag gegeben haben, mit der gestaffelten Einführung von Selbstorganisation begonnen und setzen diese nach wie vor fort.
Nach Abschluss der Machbarkeitsstudie hat das Forscherteam der Fachhochschule Nordwestschweiz seine Forschungstätigkeit fortgesetzt und die Frage gestellt, wie es um weitere Organisationen der ambulanten Pflege steht, welche in der Schweiz Elemente von Selbstorganisation einführen oder umsetzen.
Es tut sich was: Im Jahr 2019 haben die Forscher mehrere Dutzend Pflegeorganisationen (öffentliche und private, alle Sprachregionen) ausfindig gemacht, welche das Konzept der Selbstorganisation unterschiedlich stark umsetzen. Mit einem Dutzend davon wurden telefonische Interviews geführt.