Es ist kurz vor Dienstschluss, als Karin S., Pflegefachschülerin auf einer urologischen Station, in ein Patientenzimmer blickt, in das vor knapp zehn Minuten eine ältere Dame von einem endoskopischen Eingriff zurückgebracht wurde. Das Bett neben ihr ist leer. Die Seniorin äussert Angst und möchte im Moment nicht alleine sein. Karins Hand hält sie fest umklammert. Die Schülerin beschliesst, etwas zu bleiben, bis sich die Patientin beruhigt hat.
Wenig später betritt ihre Vorgesetzte, Stationsleiterin Waltraut R., das Zimmer. Sie verlangt von Karin das Zimmer prompt zu verlassen, weil die Patientin jetzt Ruhe benötige. Karin versucht, Waltraut die Situation zu erklären und sich für den Willen der Seniorin auszusprechen. Daraufhin wird sie von der Stationsleiterin gepackt und gewaltsam aus dem Zimmer gestossen. Es gibt keine Zeugen. Die Schülerin Karin S. wird nach diesem «Vorfall» strafversetzt.
Klarstellung der Machtverhältnisse
Diese Begebenheit in einem christlichen Krankenhaus in Deutschland zeigt: Nicht das Wirtschaftlichkeitsgebot oder die zu hohe Arbeitsdichte müssen zwangsläufig dem zentralen Anliegen eines Pflegeprozesses entgegenstehen und das Patientenwohl in Frage stellen. Die Sicherung und strikte Klarstellung von Machtverhältnissen kann eine Situation ebenso beherrschen und eine gute Pflege aus dem Stationsalltag hinausdrängen.
Fachlichkeit und Distanzierungsfähigkeit der Schülerin werden nicht unterstützt, sondern als Ungehorsam und leistungsmässige Bedrohung ausgelegt. Dabei werden auch Weisungsbefugnisse und das Recht auf Beurteilung missbraucht, um sich ihrer zu entledigen, ohne Konsequenz.
«Mobbing verschafft kurzzeitige Erleichterung und wird häufig als Strategie genutzt, den eigenen Selbstwert zu steigern», erklärt Dr. phil. Josef Schwickerath, Leitender Psychologe an der saarländischen AHG Klinik Berus.
«Nichtsouveräne und leistungsschwache Führungskräfte, welche die Stärken von Mitarbeitenden nicht zu nutzen und zu fördern wissen und stattdessen Angst um Position und Vormachtstellung haben, sind der Umsetzung einer optimalen Pflege abträglich», betont Schwickerath. Mobbing werde zudem von Führungskräften auch häufig indirekt unterstützt, indem im Rahmen «inoffizieller Personalarbeit» die Mobbingprozesse innerhalb eines Teams zugelassen würden.