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Zuhause liegen

Eine höchst anspruchsvolle Aufgabe

Wer Menschen mit schwerer Demenz zu Hause pflegt, trägt viel Verantwortung. Bild Dominique Meienberg

Urs Heinrich hat Parkinson und eine schwere Demenz. Er verbringt seine Zeit im Bett oder im Rollstuhl – und lebt zu Hause. Damit dies möglich ist, braucht es vor allem die pflegerische Kompetenz seiner Ehefrau Monica und ein intaktes soziales Umfeld.

Am Morgen waschen, Mundpflege (bis zu fünf Mal in 24 Stunden), gemeinsam mit der Spitex-Mitarbeiterin umlagern, andere Seite waschen, anziehen, aufnehmen und in den Rollstuhl setzen. Griessbrei eingeben. Am Mittag gemeinsam mit der Spitex-Mitarbeiterin ins Bett legen für den Mittagschlaf.

Nach 1,5 Stunden wieder aufnehmen und in den Rollstuhl setzen. Mittagessen eingeben, später eine süsse Zwischenmahlzeit. Um acht Uhr abends ins Bett bringen mit Unterstützung der Spitex-Mitarbeiterin, umziehen, betten. Um Mitternacht und um fünf Uhr morgens umlagern.

Dies ist nur ein Teil der Pflege und Betreuung, die Urs Heinrich braucht. Hinzu kommen weitere Aufgaben: aufmerksames Beobachten, Beschwerden lindern, Medikamente geben, Einlagen wechseln. Und natürlich: Da sein für den Patienten, die Hand halten, sprechen, vorlesen, vorsingen. 

«Es erfordert hohe Kompetenzen»

Monica Heinrich ist diplomierte Pflegefachfrau und pflegt ihren bettlägerigen, an Parkinson und Demenz erkrankten Ehemann Urs zu Hause. Eine solche Konstellation sei höchst selten, heisst es beim Spitex-Verband Schweiz in Bern.

«Bettlägerige Menschen mit Demenz können nur vor Ort betreut werden, wenn Angehörige rund um die Uhr zu Hause sind», sagt Esther Bättig, Pflegeexpertin und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Spitex.

«Umlagern, Atemübungen, Bewegung der Gelenke, das Aufnehmen in den Rollstuhl – das alles ist eine sehr grosse Belastung für die Angehörigen – und erfordert hohe Kompetenzen. In den 16 Jahren, in denen ich als Pflegefachfrau für die Spitex arbeitete, erlebte ich nur wenige solche Fälle.» 

Die Pflege von Menschen mit schwerer Demenz erfordert Kompetenz.Bild Dominique Meienberg

Damit Monica und Urs Heinrich gemeinsam zu Hause leben können, müssen viele Rahmenbedingungen stimmen. Die beiden brauchen Unterstützung von Spitex, Familie und Freunden. Es braucht die Kompetenz, die Monica Heinrich durch ihre Ausbildung und Erfahrung als Pflegefachfrau mitbringt.

Die Wohnsituation muss ebenso stimmen wie die Medikation (zum Beispiel gegen Schlaflosigkeit oder Krämpfe). Es braucht regelmässige und mehrtägige Entlastungsaufenthalte in der Tag-/Nachtstation der Sonnweid und eine angemessene Begleitung durch den Hausarzt.

Monica Heinrich: «Bei vielen Angehörigen scheitert es nicht an den eigentlichen Pflege- und Betreuungsaufgaben, sondern an der grossen Verantwortung, die sie zu tragen haben. Ich muss täglich selbstständig entscheiden und handeln: Hat er Schmerzen? Soll ich ihm dagegen ein Novalgin geben? Braucht er jetzt einen Einlauf gegen die Verstopfung? Wer nicht vom Fach ist, kann diese Verantwortung nicht tragen.»

Dass so wenige bettlägerige Menschen mit Demenz zu Hause leben, liegt auch an den Vorgeschichten. Oft ist die Betreuung zu Hause noch anspruchsvoller, so lange der Betroffene mobil ist. Desorientierung, schwierige Verhaltensweisen (u.a. Aggression), Psychosen, Nachtaktivität usw. überfordern manche Angehörige –  und sind die Hauptgründe für den Umzug ins Heim.

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Ausfahren!

Auch in dieser Phase liess sich Monica Heinrich etwas einfallen: «Anstatt zu Hause darauf zu warten, dass er das Büchergestell auseinandernimmt und mir die Decke auf den Kopf fällt, sind wir zwei Jahre lang fast jeden Tag miteinander ausgefahren. Wir fuhren zusammen an den Bodensee oder an die Thur, um dort zu wandern.»

Nur einmal sei sie wirklich an ihre Grenzen gestossen, erinnert sich Monica Heinrich. Ihr Mann sei am Morgen nicht mehr von einem Spaziergang zurückgekehrt. «Am Nachmittag suchten Freunde, Nachbarn und mehrere Polizisten mit zwei Hunden nach ihm. Später kam auch noch ein Helikopter.»

Es stellte sich heraus, dass Urs mit Bus und Zug nach Wil gefahren war, wo er eine Schwäche hatte und von der Polizei aufgegriffen wurde.

Da habe sie gedacht, jetzt gehe es nicht mehr und ihr Mann müsse ins Heim. Einen Tag später hatte eine Tochter der Heinrichs einen GPS-Tracker beschafft. Von da an konnte Monica Heinrich die Spaziergänge ihres Mannes auf Computer und Smartphone verfolgen und wusste immer, wo er ist.

Woher nimmt Monica Heinrich die Kraft für diese höchst anspruchsvolle Aufgabe? «Es ist in erster Linie die Liebe zu meinem Mann», sagt sie. «Wir sind beide im christlichen Glauben verwurzelt. Wir haben immer gemeinsam gebetet, und ich spüre auch die Fürbitten von anderen Menschen, die uns nahestehen.»

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Eine Produktion des Sozialverbandes Deutschland. Quelle You Tube