Palliative Care ist nicht nur ein Konzept, sondern eine Haltung. Wichtig bei der palliativen Begleitung und Pflege von Menschen mit Demenz sind die einfühlende Kommunikation und der Aufbau von Beziehung – vom Eintritt ins Heim bis zum Tod.
Wir alle, vor allem aber Menschen mit Demenz, brauchen Menschen, die bis zuletzt in Beziehung mit einem bleiben. Die einfühlsame Kommunikation gibt dem Bewohner zu spüren, dass er ernst genommen wird, dass wir Interesse daran haben, was für ihn in diesem Moment bedeutsam ist. Dies stützt das Erleben von Würde.
Wenn die Sprache nicht mehr da oder eingeschränkt ist, wird der Kontakt auf der Gefühlsebene von zentraler Bedeutung. Wir versuchen, die verbalen und nonverbalen Äusserungen immer wieder aufmerksam zu verstehen und zu deuten und die Bewohner gut zu beobachten.
Nur so können wir auch belastende Symptome wie Schmerzen, Angst, Unruhe etc. erkennen und lindern. Diese Haltung ist das Fundament einer wirksamen palliativen Betreuung und Pflege. Das Palliativ-Konzept verweist im Punkt «Begleitung von Menschen mit Demenz in ihrem Leben» auf das Leitbild der Sonnweid.
Unsere Bewohner werden vom Eintritt an palliativ begleitet. Das Ziel der Begleitung ist immer die bestmögliche Lebensqualität für alle Bewohner mit ihren individuellen Bedürfnissen. Diese Begleitung kann Monate oder Jahre dauern.
Vielfach wird Palliative Care mit «End-of-life Care», der Sterbebegleitung, assoziiert. Dies ist nicht falsch, die Sterbebegleitung ist jedoch nur ein (wichtiger) Teil von Palliative Care. Wir müssen uns bewusst sein, dass sich Palliative Care auch an Menschen mit einer chronischen Erkrankung richtet. Palliation leitet sich vom lateinischen Wort «Pallium» ab und bedeutet auf Deutsch «Mantel» oder «Hülle».
«Unser Ziel ist die bestmögliche Linderung von belastenden Symptomen. Es sollte uns aber bewusst sein, dass dies nicht immer ausreichend gelingen kann.»
Auch auf der Tag/Nacht-Station der Sonnweid, die betreuende Angehörige temporär entlastet, versuchen wir, jedem Bewohner seinen eigenen Mantel zu schneidern. Dies ist nicht immer einfach, besonders bei den Bewohnern, die nur für kurze oder seltene Aufenthalte zu uns kommen.
Um einen passenden Mantel zu schneidern, müssen wir den Bewohner kennenlernen, uns an ihn herantasten. Herauszufinden, mit welchen Massnahmen wir einem Menschen den Tag erhellen und erleichtern können, ist manchmal eine Detektivarbeit. Natürlich helfen dabei Arztberichte und Aussagen von Angehörigen.
Manchmal muss man auch aushalten können
Da das Leiden immer multidimensional beeinflusst ist durch körperliche, emotionale, soziale und spirituelle Ursachen, können wir letztlich nicht alles abnehmen oder zum Verschwinden bringen. Manchmal müssen wir auch aushalten können, zusammen mit dem betroffenen Menschen.
Die Linderung von belastenden Symptomen trägt zu einem grossen Teil zur Verbesserung der Lebensqualität bei und gelingt vielfach gut. Dass auch wir manchmal an Grenzen stossen, möchten wir mit drei Fallbeispielen aufzeigen.
Fallbeispiele aus der Praxis
Herrn L.s Mantel braucht stets Anpassungen
ss. Herrn L. kennen wir nun schon einige Jahre. Er wird zu Hause von seiner Frau gepflegt. Er kommt zu ihrer Entlastung jede Woche einige Tage oder auch für Ferien zu uns auf die Tag/Nacht-Station. Er ist stark auf Pflege angewiesen, ist aber den ganzen Tag auf den Beinen. Mal ist er schnell, mal langsam unterwegs in Haus oder Garten. Herr L. ist still geworden, er spricht nur noch selten wenige spanische Worte. Seinen Gesichtsausdruck können wir mittlerweile gut deuten.
Oft sieht er gehetzt aus, mit gequältem Blick, eine tiefe Furche zwischen den Augen. Seit wir Herrn L. kennen, beschäftigt uns immer wieder, wie wir ihm mehr Ruhe ermöglichen können. Manchmal plagen ihn auch Schmerzen, besonders nachdem er gestürzt ist. Weil er heute schneller ermüdet, begleiten wir ihn immer wieder von seinen Ausflügen zurück auf unsere Station. Nur selten kommt noch eine Andeutung seines früheren Strahlens, wenn er uns erblickt.
Manchmal möchte er nicht mitkommen, dann führen wir ihn auf Umwegen auf unsere Station. Ins Wohnzimmer, wo die anderen Bewohner sitzen, geht er nicht gerne. Deshalb bieten wir ihm ruhigere Orte zum Verweilen an. Er schätzt es und hält unsere Hand, wenn wir uns neben ihn setzen. In der Vergangenheit war es nicht einfach, ihn mit Medikamenten zu unterstützen. Bis die richtigen mit der besten Dosierung gefunden wurden, brauchte es Zeit und Anpassungen. Wenn wir das Gefühl haben, er wirke jetzt entspannt, schläft er mehr.
Die Müdigkeit erschwert aber seiner Frau die Pflege zu Hause. So ist es oft ein Balanceakt zwischen unseren Vorstellungen und den anderen Bedürfnissen zu Hause. Nun hat es sich aber so eingespielt, dass wir auf genügend Ruhepausen achten oder auch einmal die Reservemedikamente einsetzen. Schon immer hat Herr L. das Essen geliebt. Als er noch den ganzen Tag unterwegs war, servierten wir ihm immer eine doppelte Portion. Heute haben wir auf eine Portion reduziert, können ihm aber eine Freude machen mit kleinen Zwischenmahlzeiten oder einem Apfelsaft. Jeden Tag sein Befinden zu beobachten, ist eine Herausforderung. Aber es ist wichtig, dass wir seinen Mantel stets anpassen.