Ich weiss nicht mehr, wann ich das letzte Mal einen Bewohner der Sonnweid beim Aufstehen unterstützt und gepflegt habe. Theoretisch kann ich gut von Empathie sprechen – von «sich ganz hineinbegeben in die Beziehung», von «dem Menschen auf Augenhöhe begegnen», wie ich das in meinen Referaten oft blumig umschreibe.
Meine Beispiele aus der Praxis sind alt, und das ist nicht gut. Deshalb gehe ich wieder einmal als Pflegender für zwei Stunden auf eine Station. Eines vorneweg: Eine Hilfe war ich nicht. Aber ich durfte Menschen kennenlernen und staunen.
Ich bin mit Asghar auf dem Weg zu Frau Moser*. Asghar flüchtete vor 20 Jahren aus dem Iran in die Schweiz. Er arbeitet seit einigen Monaten bei uns. Wir kommen uns rasch näher, duzen uns und tauschen Grundinformationen aus.
Diese Nähe braucht es, wir sind ja ein Team.
Asghar und ich stellen uns vor und sagen, warum wir da sind. Schon beim ersten Anfassen gibt Frau Moser einen grellen Laut von sich. Asghar sagt, dies sei immer so. Wir helfen Frau Moser beim Aufstehen und begleiten sie langsam ins Badezimmer. Sie geht sehr wackelig.
Wir setzen sie aufs WC. Anschliessend will ich loslegen. Doch Asghar weiss besser, wie man mit Frau Moser umgeht. Er beginnt mit dem Waschen und der Pflege. Ich stehe daneben und staune ob seiner hohen Empathie und zugewandten Routine. Damit vermittelt er Frau Moser das Gefühl, dass es hier nur um sie geht.
Ihr Gesicht entspannt sich, ein Lächeln entsteht, sie sagt ihre ersten Worte des Tages.