Manchmal hallen ungewöhnliche und sphärische Klänge durch die Gänge des Wetziker Demenzzentrums Sonnweid. Eingeweihte wissen: Das ist keine Meditationsstunde, das ist auch keine Musik, die aus dem Kofferradio einer Bewohnerin schallt. Es sind die beiden Pflegefachfrauen Regula Stahel und Ellen Merz, die mit ihren Klangschalen die Runde machen. Sie begeben sich auf eine «Klangreise», betreten einen Raum, ganz ohne Absicht, und beobachten, was passiert.
Oft erregen sie mit ihren Obertoninstrumenten Aufmerksamkeit, manchmal passiert nichts Augenfälliges, oder es bleibt im Verborgenen. Oder sie werden von einer Kollegin darauf hingewiesen, dass Frau S. in Zimmer 12 den Eindruck erwecke, als würde ihr eine Klangmassage heute besonders gut tun.
Eben, Klangmassage: Hier geht es um Körperlichkeit. Um Berührung, Vibrationen, Frequenzen; um Atmosphäre und Resonanz. Hohe und tiefe Töne, vereint in harmonischen Obertonklängen.
Sie vermögen zu umhüllen, zu streicheln, sie wirken beruhigend oder anregend. Aufregen sollen sie hingegen nicht. Hier wird den beiden Fachfrauen viel Achtsamkeit und Sorgfalt abverlangt, ein ernsthaftes Spiel von Nähe und Distanz, das Ausloten von «Wie weit darf ich gehen, wie viel erträgt es heute?».
Manchmal sei es offensichtlich der falsche Moment, dann ziehe man sich sofort wieder zurück. «Ich käme nie auf die Idee, jemanden zu beklingen, nur weil mir die Klänge gefallen», sagt die Pflegefachfrau.
Eigentlich handle es sich um eine Erweiterung des pflegerischen Konzepts der Basalen Stimulation, sagt die stellvertretende Stationsleiterin. Wobei die Berührungen hier nicht haptisch seien, sondern vibratorisch und auditiv. Unter dem Arm trägt sie eine Körpertambura, ein 28-saitiges Holzinstrument, das, wenn richtig angeschlagen, wunderbare Töne und Obertöne von sich gibt.
Regula Stahel hat das ursprüngliche Klangschalenangebot ihrer Kollegin Ellen Merz um ein weiteres Instrument erweitert. Der hölzerne Klangkörper ist gewölbt, als wäre er gebaut dafür, sich an einen Menschen zu schmiegen. «Das ist tatsächlich so», bestätigt sie.
Verstärkte vibratorische Wahrnehmung
Nur sei sie sehr vorsichtig damit. Es komme schon vor, dass sie sich getraue, einem Bewohner die Tambura auf die Beine, oder eine Klangschale auf den Bauch zu legen. Das verstärke die vibratorische Wahrnehmung. «Vor allem die tieferen Töne kommen sehr gut an», sie hätten eine ungemein beruhigende Wirkung, sagt die Erbauerin des Instruments.
In ihrer Freizeit nämlich beschäftigt sich Regula Stahel nicht nur mit den Klängen von Klangschalen, Tamburas und Monochords. Nein, sie kennt das Innenleben der hölzernen Saiteninstrumente auswendig, denn zwei davon hat sie auch selbst gebaut. Dadurch sei eine unglaubliche Innigkeit zum Instrument entstanden, sagt sie. Ideale Voraussetzungen dafür, die richtige Atmosphäre zu schaffen.
Auch in ihrer akademischen Arbeit «Klang, wenn Worte fehlen» hat sich Regula Stahel mit der Integration von Klängen in der palliativen Begleitung von Menschen mit Demenz beschäftigt.1 Ihr sei es darum gegangen, vor dem Hintergrund des Konzepts der Basalen Stimulation zu belegen, was diese verschiedenen Klänge bewirkten. Dabei habe sie das Vibratorische und Atmosphärische ins Zentrum gerückt.
«Menschen mit Demenz reagieren sehr empfindlich auf die geringsten atmosphärischen Veränderungen in ihrer Umgebung.»
Ganz intensiv habe sie dabei die Resonanz studiert, welche die Klänge auslösten. Wie kommen die Töne an? Was bewirken sie? Wie verändert sich ein Gesichtsausdruck, wie verhält es sich mit der Körperspannung und wie verändert sich die Atmung? Die Wirkung einer Klangmassage sei erfahrungsgemäss eher momentan als lang anhaltend.
Ein Erfolg sei es aber, wenn eine Bewohnerin durch die Klangmassage eine Viertelstunde länger als sonst bei sich bleibe, oder wenn die beruhigende Wirkung der Klänge jemandem das Einschlafen erleichtere. «Es ist immer wieder ein schönes Erlebnis, wenn eine Interaktion mit Menschen entsteht, die sonst gar nicht mehr oder nur sehr stark eingeschränkt kommunizieren können», sagt Regula Stahel.