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Achtsamkeit und Demenz

Heute ist ein schöner Tag!

Lena Schmidt und Corinna Northe

Lena Schmidt und Corinna Northe wurden für ihre Idee als »Kultur- und Kreativpilotinnen« ausgezeichnet. Bild Schall und Schnabel

Bei Demenz denkt man oft an Verlust und schwierige Situationen. Dabei gibt es auch schöne Momente, die Betroffene und Angehörige gleichermaßen stärken. Das Achtsamkeitstagebuch »Heute ist ein schöner Tag« hilft, das Gute zu sehen und schafft Erfolgserlebnisse.

»Aber mein gelbes Buch, das räumst du nicht weg!«, warnt die vergessliche Mutter eines Bekannten, der ihr beim Aussortieren hilft. Damit meint sie das Achtsamkeitstagebuch von Lena Schmidt und Corinna Northe, das die beiden für Menschen mit Demenz entwickelt haben. 2021 hat die Bundesregierung die Kreativköpfe für ihre Idee als »Kultur- und Kreativpilotinnen« ausgezeichnet. Wir haben nachgefragt, was Achtsamkeit im Alltag mit Demenz bewirkt.

demenzjournal: Das Achtsamkeitstagebuch heißt »Heute ist ein schöner Tag«. Was habt ihr denn Schönes erlebt?

Lena: Am Wochenende war der 88. Geburtstag meiner Oma und ich habe die Gelegenheit genutzt, um gleich ein ganzes Wochenende in der Heimat mit der Familie zu verbringen. Es war sehr schön Zeit füreinander zu haben und auch noch Freund:innen zu sehen.

Corinna: Ich bin leider momentan ziemlich erkältet. In solchen Zeiten überlege ich mir dann, was mich aufbaut. Als ich heute Morgen gesehen habe, wie schön es schneit, war ich sehr gerührt und dankbar darüber, dass ich so etwas Schönes erleben durfte. Ich freue mich immer über den Anblick von Schönem, zum Beispiel auch auf meinen kleinen Mandelbaum, wenn er dann im Frühling blüht.

Die Momente des Alltags würdigen und daraus Kraft gewinnen, darum geht es bei der Achtsamkeit. Warum ist es gerade im Umgang mit Demenz wichtig, achtsam zu sein?

Lena: Bei dem Thema Demenz denkt man schnell nur an das Negative. Dabei werden schöne Momente oft übersehen. Wenn man zum Beispiel als Angehörige diese Momente festhält und dann zurückschaut, sieht man: Okay, es ist nicht alles schlecht, es gibt immer wieder schöne gemeinsame Augenblicke.

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Lena Schmidt und Corinna Northe kamen durch ihre Großeltern mit dem Thema Demenz in Kontakt. Sie verbindet der Wunsch, über Demenz zu informieren und zu einem Alter in Würde beizutragen. Mit ihrer Firma JUPP entwickeln sie Produkte für Familien, um ihren Alltag mit Demenz zu erleichtern und Beziehungen zu stärken.
 
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Corinna: Wir alle erleben schöne und weniger schöne Dinge. Es ist eine Frage der Sichtweise, ob man für sich das Gute mitnimmt. Achtsamkeit hilft Angehörigen, selbst mehr bei Kräften zu bleiben. Wenn man das als Angehöriger schafft, kann man diese positive Sicht auch an den Menschen mit Demenz weitergeben und ihn damit stärken.

Und umgekehrt. Irgendwann kommt oft der Moment, wo die Angehörigen mehr leiden als der Betroffene. Wo die Kluft zwischen meiner Erinnerung an einen Menschen und dem Menschen, den ich jetzt betreue, schwer zu ertragen ist. Da kann genau dieser Mensch inspirierend sein, der nur das Jetzt wahrnimmt.

Lena: Absolut. Dass man sich auf die Frage konzentriert: »Was ist jetzt gerade da?«. Anstatt ständig zu denken: »Was habe ich verloren?« oder »Welche Pläne hatten wir miteinander?«. Im Moment bleiben und genießen, dass man jetzt gerade Zeit zusammen verbringt – das ist der Schlüssel. Kürzlich ist in meinem Freundeskreis eine Mutter unerwartet verstorben und das hat mir wieder bewusst gemacht, wie wertvoll die Zeit ist, die wir mit anderen haben.

Erwartungen abgeben und im Moment leben: Wie schafft man das?

Lena: Durch meinen Sohn merke ich, wie stark Kinder in einer Sache aufgehen und Dinge faszinierend finden, die Erwachsene längst nicht mehr wahrnehmen. Ich finde, da gibt es eine Parallele zu Menschen mit Demenz. Auch sie entdecken Dinge immer wieder neu.

Es lohnt sich, als Angehöriger die Gedanken beiseitezuschieben und zu gucken: »Was liegt hier gerade vor mir?«.

Corinna: Als Erwachsene verlieren wir das leider. Da kommen die ganzen Pflichten und Aufgaben und man hört auf, achtsam zu sein. Lena und ich haben bei der Entwicklung des Achtsamkeitstagebuchs viel über Werte gesprochen. Die Voraussetzung für einen achtsamen Umgang ist, dass man seine eigenen Werte kennt. Dann kann man priorisieren. Wenn ich meine Gesundheit priorisiere, hilft mir das, nicht über meine Grenzen zu gehen.

Leichter gesagt als getan. Im Pflegealltag kann man nicht einfach davonlaufen.

Corinna: Das stimmt. Ich will damit vor allem sagen, dass Achtsamkeit viel mit den eigenen Werten zu tun hat und dass man sie trainieren kann.

Lena: Ein wichtiger Punkt. Natürlich kann man als pflegender Angehöriger nicht einfach gehen. Aber man kann Routinen im Alltag schaffen oder so anpassen, dass sie dem eigenen Wohlbefinden nützen. Zum Beispiel täglich miteinander spazieren gehen oder Waldbaden. Auch Essen ist eine Routine, mit der man sich Gutes tun kann.

Es sind meistens diese kleinen Dinge. Damit kann man sich auch zuhause Oasen schaffen. Eine Routine könnte auch euer Achtsamkeitstagebuch sein. Wie kam es zu der Idee?

Lena: Corinna und ich sind unabhängig darauf gekommen. Corinna hat ihre Masterthese in Visueller Kommunikation dem Thema Demenz gewidmet.

Ich habe bei meinem Großvater mitbekommen, wie schnell man bei der Betreuung übersieht, was da eigentlich noch alles schön ist.

Als ich dann selbst ein Achtsamkeitstagebuch geführt habe, wurde mir klar, wie gut mir das tut. Dann las ich auch eine Studie, die gezeigt hat, dass Achtsamkeit hilft, das Demenzrisiko zu senken.

Corinna: Mit meiner Masterthese habe ich das Thema für mich aufgearbeitet, nachdem meine Oma gestorben ist. Meine Mutter hat die Care-Arbeit geleistet, ich durfte als Enkelin für die schönen Momente sorgen. Ich habe dafür gesorgt, dass der Raum hell war, dass meine Oma Blumen, einen Kalender und Erinnerungsstücke um sich hatte und dass wir uns unterhalten konnten.

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Was war euch bei dem Achtsamkeitstagebuch wichtig?

Lena: Dass es ansprechend aussieht und die Wahrnehmung von Menschen mit Demenz berücksichtigt. Aber auch, dass das Wort »Demenz« gar nicht vorkommt. Wenn dieser Begriff fällt, wird die Stimmung oft negativ, obwohl das nicht sein müsste. Es muss dem Betreffenden nicht immer wieder gesagt werden, dass er Demenz hat.

Er hat noch so viel mehr Fähigkeiten und es wäre schade, ihn nur auf die Demenz zu reduzieren.

Corinna: Das Tagebuch soll Spaß machen, schöne Momente und Erfolgserlebnisse schaffen. Es gibt Tages-Seiten, kreative Seiten, Gedichte, Lieder … Dadurch kann man Stärken oder Vorlieben entdecken, die man vielleicht gar nicht auf dem Schirm hatte.

Was löst das Tagebuch aus?

Lena: Dass die Menschen in unserem Umfeld mehr über das Thema sprechen, sich öffnen und ihre Sorgen teilen. Demenz ist noch immer stigmatisiert. Wir haben Kontakt zu Angehörigen, Heimen, Tagespflegen und Organisationen – per Telefon oder an Veranstaltungen. Wir schielen schon auf die Demenz Meets. Letztes Jahr waren wir auf dem Demenz Meet München.

Demenz zur Sprache bringen und einander stärken ist ganz zentral bei den Meets – und für die gesamte demenzworld.

Corinna: Ich muss sagen, ich finde das großartig. Über Demenz informieren und die Menschen untereinander zu vernetzen oder auch mit dem demenznavi zu unterstützen, das ist sehr wertvoll.

Lena: Nach meiner Erfahrung ist es total wichtig, mehr über Demenz zu wissen. Zum Beispiel, wie man gut miteinander kommuniziert. Mit diesem Wissen hatten wir viel weniger herausfordernde Situationen.

Ihr habt die Firma JUPP gegründet, um Produkte zu designen, die zu einem guten Leben mit Demenz beitragen – wie das Achtsamkeitstagebuch. Woher kommt der Name JUPP?

Lena (lacht): Das war ein Ausruf meines Großvaters. Mein Mann und ich wollten das Auto für ihn aus der Garage schieben. Da hat er plötzlich tatkräftig angepackt und gerufen: »Eins, zwei – jupp!« Wir haben alle drei gelacht, weil es uns so überrascht hat. Er hat es dann noch ein paar Mal wiederholt und dabei gezeigt, dass noch viel Kraft in ihm steckt.


Das JUPP: Heute ist ein schöner Tag. Achtsamkeitstagebuch für Menschen mit Demenz, Köln 2022. Hardcover mit Leinenbezug und Prägung, 42 farbige Abbildungen, 288 Seiten. Preis 29,90 € zzgl. Versand.

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