Eine Hommage an die Langsamkeit - demenzjournal.com

Bewegungskunst

Eine Hommage an die Langsamkeit

«Wir wollen den Ort verzaubern, an dem Menschen mit Demenz leben», sagt Lisa Bögli. Michael Hagedorn

Sich ganz nah sein, trotz Abstandsregeln: Die Künstler:innen Lisa Bögli, Andeli Zumbühl und Andreas Schwarzer haben einen Weg gefunden, wie das geht. Das Stück «Seidenfein und schillernd charmant» richtet sich speziell an Menschen mit Demenz, seinem Zauber kann sich aber niemand entziehen.

Ein Spätsommerabend auf der grossen Gartenterrasse einer psychiatrischen Klinik über dem Zürichsee: Das Sonnenlicht dringt ein letztes Mal an diesem Tag durch die Lücke zwischen Horizont und Wolkendecke. Aus einem Lautsprecher erklingt eine Harfe, es kommen weitere Instrumente dazu. Die Künstler:innen Lisa Bögli, Andeli Zumbühl und Andreas Schwarzer pusten durch Herzen, die sie vorher in Seifenwasser getunkt haben. Ein laues Lüftchen trägt Seifenblasen über den Rasen. 

Lisa Bögli: Wir wissen nie, wie es wird. Der Wind, das Wetter, die Thermik, die Luftfeuchtigkeit: Alles kann sich schnell ändern. Gerade während eines Sonnenunterganges kann es am Anfang ganz anders sein als am Schluss. Das gibt uns jedes Mal die Möglichkeit, von Neuem anzufangen. Das Thema Improvisation ist uns sehr wichtig. Das Stück «Seidenfein und schillernd charmant» ist immer ein einmaliges Erlebnis. Es so zu nehmen, wie es ist: Das ist eine passende Metapher zum Begleiten von Menschen mit Demenz. Ohne Pläne und mit vollen Herzen kommen wir in die Alters- und Pflegeheime. Wir versuchen, den Ort zu verzaubern und alles zu geben, was wir können. Dazu braucht es viel Liebe, Wertschätzung und Achtsamkeit.

Impression aus dem Stück «Seidenfein und schillernd charmant».Martin Mühlegg

Als die bereits untergegangene Sonne die Wolken Feuerrot färbt, nehmen die drei Künstler:innen grössere, fächerartige Instrumente zur Hand. Mit anmutigen Bewegungen erzeugen sie hunderte von kleinen Seifenblasen. Einige davon «leben» lange genug, um die Zuschauer:innen zu erreichen, die sich um die Rasenfläche geschart haben. Auf den Gesichtern der Menschen mischt sich geniesserisches Lächeln mit kindlichem Staunen. 

Lisa Bögli: Nach den Aufführungen des Stücks erhalten wir schöne Rückmeldungen. Zum Beispiel sagten Pflegende, auf ihrer Demenzstation sei es noch nie so ruhig gewesen. Die Bewohner:innen entspannen sich, wenn sie Seifenblasen sehen. Sie erinnern sich an ihre Kindheit. Wir können Menschen, die eine andere Wahrnehmung haben, etwas bieten – mit Farben, Bewegung und Musik. Man muss das Stück nicht begreifen, man kann auch mal wegschauen oder einnicken. Wir wollen den Ort verzaubern, an dem Menschen mit Demenz leben. Der Anblick ist ihnen vertraut, und wir verzaubern ihn.

Neben Seifenblasen, Tanz, Musik und Pantomime kommen im Stück auch Drachen und Seidentücher vor. Sie tragen die bei Seifenblasen vorherrschenden Farben Lila und Türkis. Andeli Zumbühl hat die Tücher und Drachen speziell für «Seidenfein und schillernd charmant» gefärbt. Die Tücher sind mit Hula Hoops verbunden, die von Zumbühl und Bögli anmutig bewegt und geschwungen werden.

Quelle alzheimer.ch/YouTube

Lisa Bögli: Je nach Bedingungen musst du immer spontan entscheiden, wie gross die Blasen werden. Beim Seifenmachen geht es um Milligramme, ich habe dazu viel geforscht und ausprobiert. Andeli Zumbühls Teil sind die Seidentücher und Drachen. Sie hat SilknHoop erfunden, den sie selber herstellt und weltweit vertreibt. Mit dieser Kombination aus Seidentuch und Hula Hoop hat sie eine neue Art von Flow Art entwickelt. Ich nehme bei ihr Hula Hoop-Stunden, Anfang 2020 fingen wir mit der Kreation «Seidenfein und schillernd Charmant» an.

> Hier geht’s zum SilnknHoop von Andeli Zumbühl

Intuitiv verständlich: Weckworte-Poesie by Lars Ruppel

Lars Ruppel hält einer älteren Frau die Hand

Weckworte

Mit Poesie und Händedruck Menschen mit Demenz erreichen

Lars Ruppel ist einer der bekanntesten Slam Poeten Deutschlands. Sein Projekt «Weckworte» befähigt Pflegende, mit Poesie die Lebensgeister von Demenzbetroffenen zu wecken und … weiterlesen

Manche Seifenblasen sind zwei Meter lang und verändern ihre Form ständig, andere verbinden sich zu blumenkohlartigen Gebilden oder sind mit Rauch gefüllt. Viele von ihnen schweben lange über den Rasen und zerplatzen erst durch einen gestreckten Finger eines Zuschauers. 

Lisa Bögli: Wir arbeiten jetzt an der Finanzierung des Stücks. Wir möchten es den Heimen möglichst günstig anbieten können und brauchen deshalb die Unterstützung von Stiftungen und Spendern. Auch in dieser Beziehung soll das Stück leicht sein wie eine Seifenblase. Ab nächstem Frühling möchten wir einmal pro Monat einen öffentlichen Platz mit einer Vorstellung beleben. So können wir die Gesellschaft auf eine positive Weise für das Thema Demenz sensibilisieren. Vielleicht können so die Zuschauer erkennen, wie ein Mensch mit Demenz die Welt sieht: Alles wird langsam, die Zeit spielt keine Rolle mehr, und man wird frei.

> Hier können Sie Lisa Böglis Angebote buchen oder dafür spenden   

Jede Aufführung ist einzigartig, da Temperatur Wind und Feuchtigkeit einen Einfluss auf die Seifenblasen haben.Martin Mühlegg

Zum Finale der Aufführung über dem Zürichsee bittet Bögli die Zuschauer:innen um Unterstützung. Mehrere von ihnen nehmen die Einladung an und erzeugen nun tausende von Seifenblasen. Als die letzte von ihnen zerplatzt, ist es dunkel geworden. Manche Zuschauer:innen nehmen noch ein Getränk und ein Häppchen, bevor sie die schönen Bilder und Gefühle mit auf ihre Zimmer nehmen. «Wir machen mit unseren Patient:innen viel Achtsamkeitsschulung», sagt eine Mitarbeiterin der Klinik. «Das Stück, das wir heute gesehen haben, ist das perfekte Lernfeld für Achtsamkeit.»

Lisa Bögli: Zum Abschluss von «Seidenfein und schillernd charmant» laden wir die Zuschauer zum Mitmachen ein. Da gibt es immer Bewohner:innen, Besucher:innen oder Mitarbeitende, die das sehr gerne ausprobieren. Viele Menschen mit Demenz geniessen es sehr, wenn sie selber Seifenblasen machen oder ihren Lieben dabei zuschauen können.

> Hier geht’s zur Website von Lisa Bögli

> Hier geht’s zum SilnknHoop und weiteren Angeboten von Andeli Zumbühl

Lisa Bögli lädt zum Humordessert

Eine Veranstaltung ohne Programm, mit Kaffee und Kuchen alzheimer.ch/Marcus May


Lisa Bögli (31) hatte einen engen Kontakt zu ihren Grosseltern und arbeitete schon als Jugendliche in einem Alters- und Pflegeheim. Sie ist ausgebildete Bewegungsschauspielerin (nach Jaques Lecoq an der Comart in Zürich) und Mitglied der Association of international Bubble Artists (AOIBA). Mit ihren HumorTagen und Stücken besucht sie Alters- und Pflegeheime, Demenzstationen und Tagesstrukturen. Ihre Feuershows, Seifenblasen- und Bühnenstücke zeigt sie an öffentlichen und privaten Veranstaltungen. Sie ist Mutter von vier Kindern und lebt in Girenbad im Zürcher Oberland.