Wird aus der Wiener «Mohrenapotheke» eine «Ohrenapotheke»? Der «Shitstorm», der zu dieser Frage wütete, zeigt deutlich: Sprache ist niemals neutral. Sie verändert sich mit unserem Denken und beeinflusst unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit. Wer die Wörter bestimmt, gestaltet auch die Wirklichkeit – und umgekehrt.
Sprache ist auf diese Weise eng mit Macht gekoppelt. Es gibt viele Beispiele für die sprachliche Selbstermächtigung diskriminierter Gruppen, die gegen sie gerichtete Begriffe verwenden und so ihre Zuschreibungen neu bestimmen: «Nigga», «Krüppel», «schwul» …
Im Bereich Demenz stehen wir bei sprachlicher Sensibilität noch am Anfang.
Menschen mit Demenz äußern, dass sie mit der Zuschreibung «dement» («ohne Geist») nichts anfangen können, dass ihnen der Begriff Angst macht, sie schwächt. Sie schaffen neue Begriffe und bringen diese in Debatten ein – etwa Helga Rohra mit dem Slogan «trotzDEM» oder die Gruppe PROMENZ in Österreich, deren Vertreter sich als «Menschen mit Vergesslichkeit» beschreiben.
Während in Fachkreisen weitgehend Konsens besteht, zumindest den Begriff «die Dementen» aus dem Sprachgebrauch zu streichen, hält er sich allgemein ebenso hartnäckig wie der vermeintlich putzige «Alzi» oder die Vorstellung, dass man an Demenz prinzipiell «leide».
Besonders knifflig wird es bei dem in Pflege und Betreuung gängigen «herausfordernden Verhalten». Der Begriff geht auf Rahmenempfehlungen zurück, die von einer Expertengruppe 2006 im Auftrag des deutschen Gesundheitsministeriums formuliert wurden.
Dabei bildete der neu vorgeschlagene und ausführlich argumentierte Begriff einen Fortschritt zu der bis dahin üblichen «Verhaltensstörung» und «Verhaltensauffälligkeit». Heute hat er sich durchgesetzt, auch bezüglich Menschen mit Behinderung und in der Psychiatrie.
Trotzdem ist es nach vierzehn Jahren an der Zeit, den Begriff kritisch zu beleuchten.
«Herausforderung» ist ein schillernder Begriff, der in Business, Coaching und Selbstoptimierung das «Problem» verdrängt hat. Das Zitat «Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen» wird gleich mehreren Urhebern zugeschrieben.
Die Haltung passt gut in die Zeit der Ich-AG, in der äußere Faktoren in den Hintergrund treten und jeder alles schaffen kann, wenn er sich genügend anstrengt. Tatsächlich aber gibt es neben Herausforderungen reale Probleme. Sie zeichnen sich durch Komplexität aus, während Herausforderungen einfache Ursache-Wirkungsketten aufweisen.
Komplex ist auch unsere Sprache. Begriffe sind mehrdeutig, schillernd, sie lösen unterschiedliche Emotionen aus. Der Duden definiert «Herausforderung» so: «Aufforderung zum Kampf / Provokation / Anlass, tätig zu werden».
Und herausfordernd: «durch unverhohlen aufreizende, anmaßende Art eine Reaktion verlangend». Die Definitionen legen einen Menschen als Urheber nahe, jemanden, der – historisch gesprochen – den Fehdehandschuh zu Boden wirft und Satisfaktion fordert.
In unserem Fall geht die Herausforderung scheinbar vom «Verhalten» aus – aber dieses wiederum ist unlösbar an eine Person gebunden, es geht eben nicht um eine Situation. Für die Herausforderung braucht es eine zweite Person.
Und hier wird es interessant: Eine Herausforderung wird nicht objektiv als solche wahrgenommen. So definieren die Rahmenempfehlungen: «ein Verhalten, das […] als störend und problematisch empfunden wird.» Diese Empfindung kann auf eine einzelne Betreuungsperson beschränkt werden, auf ein Team oder auch auf die gesamte Gesellschaft – Demenz wäre dann eine Herausforderung für uns alle.